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Donnerstag, 20. Juli 2006

Nach der G-BA-Entscheidung zu kurzwirksamen Insulinanaloga

In Pressekonferenzen werden Journalisten Sachverhalte erklärt, damit sie Leser, Hörer oder Zuschauer informieren können. Da ich, obwohl mit den Diskussionen um kurzwirksame Insulinanaloga für Typ-2-Diabetiker als Chefredakteurin des Diabetes-Portals DiabSite vertraut, gestern einigermaßen verwirrt aus einer Pressekonferenz kam, gestatten Sie mir bitte diesen persönlichen Beitrag.

Gestern hat der Gemeinsame Bundesausschuss der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen G-BA seine Entscheidung, die Verordnungsfähigkeit kurzwirksamer Insulinanaloga für Typ-2-Diabetiker einzuschränken, auf einer Pressekonferenz in Berlin begründet. Jetzt muss die Bundesregierung den Beschluss noch absegnen. Und wer zweifelt an der freudigen Zustimmung des Gesundheitsministeriums, angesichts der Tatsache, dass Ulla Schmidt sich die Senkung der Arzneimittelausgaben ganz oben auf ihre Fahnen geschrieben hat?

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat bei der Analyse der Studien zu kurzwirksamen Analoginsulinen festgestellt, dass vor allem die Studienlage schlecht ist. Außerdem sei ein Zusatznutzen gegenüber den preiswerteren Humaninsulinen nicht erkennbar. Der G-BA hat daher entschieden, dass diese Analoga nur noch in wenigen begründeten und nachgewiesenen Ausnahmefällen zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden dürfen. Bleibt die Frage, wie das IQWiG zu seiner Stellungnahme und der G-BA zu seiner Entscheidung gekommen sind, wenn die Basis – qualitativ hochwertige Studien – dafür fehlt? Und warum gibt es Ausnahmeregelungen, wenn ein Zusatznutzen nicht gefunden wurde?

Trotz heftiger Kritik vom Deutschen Diabetiker Bund haben auch die Patientenvertreter im G-BA, wie ihr Sprecher, Stefan Etgeton vom Bundesverband der Verbraucherzentrale, mitteilte, dem Beschluss zugestimmt. Können sie die Interessen der Diabetiker auf Bundesebene glaubhaft vertreten, wenn sie nicht einmal wissen, wie sich eine heftige Unterzuckerung anfühlt? Diabetiker und Ärzte betonen, dass schwere Hypoglykämien bei einer Therapie mit Insulinanaloga seltener auftreten als unter Humaninsulin. Zwar sieht Etgeton im Gegensatz zum Kassenvertreter Wolfgang Kaesbach, der eine rigorose Umsetzung des Beschlusses fordert, die Gründe für Ausnahmeregelungen nur als Beispiele und räumt ein, dass viele Diabetes-Patienten ihm von positiven Erfahrungen mit modernen Insulinen berichtet hätten. Aber dennoch, und obwohl eine große Umfrage im Diabetes-Journal ergeben hat, dass Diabetiker bei einer Therapie mit Analoga statt sechs nur noch eine heftige Unterzuckerung pro Jahr hatten, fordert er weitere wissenschaftliche Studien. Weiß die Patientenvertretung wirklich, was ihre Zustimmung zum Beschluss für rund 200.000 insulinpflichtige Typ-2-Diabetiker in Deutschland bedeutet?

Selbst Diabetes-Patienten, die bereits ein Insulinanalogon spritzen, müssen schon bald wieder auf Humaninsulin umgestellt werden. Und das selbst dann, wenn sie das Analogon wegen einer drohenden oder beginnenden Spätkomplikation vom Arzt begründet bekommen haben. Wer übernimmt die Haftung, wenn ein Diabetes-Patient durch den sechsmonatigen Test mit einem preiswerteren Humaninsulin erblindet? Auf diese Frage antwortet der G-BA-Vorsitzende Dr. Rainer Hess ausweichend: „Wir haben eine politische und vor allem wirtschaftliche Entscheidung gefällt.“ Sollte die Industrie den Preis für Analoginsuline auf das Niveau von Humaninsulinen senken, könnten auch Analoga wieder zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden. Will der G-BA – unbeeindruckt von mehr als 180.000 Patientenprotesten – nur ein politisches Signal setzen und die pharmazeutische Industrie in die Knie zwingen?

Auf so manche Frage der zahlreich anwesenden Journalisten gab es eine Antwort, die ihrerseits weitere Fragen aufwirft. Am Ende der Pressekonferenz des G-BA stand ich etwas ratlos vor der Tür und kann mich bei Ihnen, liebe Leser, nur frei nach Brecht mit den Worten entschuldigen:

Ich stehe selbst betrübt und seh betroffen
Den Vorhang zu und alle Fragen offen.

Noch in diesem Jahr will der Gemeinsame Bundesausschuss über die Verordnungsfähigkeit von kurzwirksamen Insulinanaloga auch für Typ-1-Diabetiker entscheiden. Die langwirksamen Analoga werden folgen. Wird es gelingen, die Politik zur Vernunft zu bringen, den Patienten wieder in den Mittelpunkt zu stellen, Kosten für Krankenhausaufenthalte durch schwere Unterzuckerungen und Spätkomplikationen zu vermeiden – mit einem Wort den Vorhang wieder aufzuziehen?

Umstrittene Sparmaßnahmen bei der Behandlung von Typ-2-Diabetikern

Am 18. Juli 2006 hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) seinen Beschluss zur Behandlung von Menschen mit Typ-2-Diabetes mit kurzwirksamen Insulinanaloga bekannt gegeben: Kurzwirksame Insulinanaloga für Menschen mit Typ-2-Diabetes werden nur noch dann von der Gesetzlichen Krankenversicherung erstattet, wenn sie nicht teurer sind als Humaninsulin. Begründung: Nach Überzeugung des G-BA haben die kurzwirksamen Insulinanaloga für Typ-2-Diabetiker keinen belegten Zusatznutzen für die Patienten, sind aber mindestens 30 Prozent teurer. Nachricht lesen