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Montag, 2. Oktober 2006

IQWiG, G-BA und BMG haben die Suppe angerichtet – Diabetiker dürfen sie nun auslöffeln

Die Diskussionen um die Verordnungsfähigkeit kurzwirksamer Insulinanaloga für Typ-2-Diabetiker haben viele von Ihnen in den letzten Monaten auf dem Diabetes-Portal DiabSite verfolgt. Wir haben dem umstrittenen Thema sogar eine eigene Seite mit Links zu Stellungnahmen und Diskussionsbeiträgen gewidmet.

Nun hat das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) den Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) vom 18. Juli 2006 angenommen. Am 28. September 2006 wurde der Beschluss über die entsprechende Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AMR) im Bundesanzeiger veröffentlicht. Seit dem 29. September ist er offiziell in Kraft. Den genauen und vollständigen Wortlaut des Beschlusses (Pdf) können Sie auf dem Server des G-BA nachlesen.

Was heißt das?

Die folgenden kurzwirksamen Analoginsuline dürfen bei Diabetes Typ 2 ab sofort nur noch in wenigen begründeten Ausnahmefällen zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden:

  • Insulin Aspart (NovoRapid®)
  • Insulin Glulisin (Apidra®)
  • Insulin Lispro (Humalog®)

Was bedeutet das für die betroffenen Typ-2-Diabetiker?

Wenn sie in den kommenden Wochen und Tagen zu ihrem Arzt gehen, um sich den Quartalsbedarf an Insulin verordnen zu lassen, müssen sie erst einmal mit längeren Wartezeiten rechnen. Schließlich muss der Arzt vielen Patienten erklären, dass sie ihr gewohntes Insulin nicht mehr bekommen. Außerdem müssen sie davon ausgehen, dass der Arzt auch sie von ihrem gewohnten kurzwirksamen Analogon auf ein Humaninsulin umstellen wird – es sei denn, sie gelten als „Ausnahmefall“.

Was können die Patienten tun?

Es hilft leider wenig, sich beim Arzt zu beschweren. Denn der darf gesetzlich Versicherten mit Typ-2-Diabetes ab sofort keine kurzwirksamen Analoginsuline mehr verschreiben. Sollten Patienten jedoch früher schon einmal ein Humaninsulin gespritzt haben und aus dieser Zeit noch Blutzuckertagebücher besitzen, die belegen, dass sie damit keine gute Stoffwechseleinstellung erreichen konnten, können sie gemeinsam mit dem Arzt versuchen, eine Ausnahmeregelung zu bewirken. Ist dies nicht möglich, sollten sie zumindest im Rahmen einer Schulung auf die neue Therapie vorbereitet werden.

Wer beim Insulinanalogon bleiben will und es sich leisten kann, hat die Möglichkeit, sich dieses auf einem Privatrezept verordnen lassen. Zumindest so lange, bis die voraussichtlich kommende Festbetragsregelung durch alle Gremien gegangen ist. Das kann jedoch, wenn es denn kommt, einige Monate oder sogar bis Ende 2007 dauern. Ab dann müssten sie lediglich die Differenz zwischen dem von der Kasse übernommenen Festbetrag und den tatsächlichen Kosten für das Analogon zahlen.

Wichtig ist, dass Typ-2-Diabetiker, die auf ein neues Humaninsulin umgestellt werden, Folgendes mit ihrem Arzt besprechen und beachten:

  • Humaninsuline haben eine längere Wirkungsdauer (je nach Insulinmenge bis zu 5 Stunden) als die kurzwirksamen Insulinanaloga.
  • Somit besteht die Gefahr, in eine noch andauernde Insulinwirkung hinein zu spritzen und damit eine schwere Unterzuckerung zu riskieren.
  • Gegebenenfalls sollten Sie mit Ihrem Diabetes-Team über sinnvolle Zwischenmahlzeiten sprechen. Möglicherweise müssen Sie kurzfristig (wieder) auf fünf oder mehr Mahlzeiten pro Tag eingestellt werden.
  • Für den Fall einer Unterzuckerung brauchen Sie nach der Umstellung voraussichtlich wesentlich mehr so genannte „Not-BEs“. Sie sollten also immer reichlich schnell und langsam wirksame Kohlenhydrate mit sich führen.
  • Häufigere Blutzuckermessungen können vor unerwünschten Unterzuckerungen schützen. Mit anderen Worten: Testen, testen, testen!
  • Unterzuckerungsgefahren drohen nun auch vermehrt bei körperlichen Aktivitäten (Dazu gehört nicht nur Sport. Auch schwere Hausarbeit, Gartenarbeit und das Toben mit dem Enkel sind eine körperliche Aktivität!). Hierbei sind häufigere Blutzuckermessungen ganz besonders wichtig.
  • Je nach gemessenem Blutzuckerwert könnte ein Abstand zwischen Insulingabe und Essen sinnvoll sein.
  • Diabetiker, die beruflich oder privat ein Auto nutzen, sollten mit ihrem Arzt unbedingt über ein mögliches Fahrverbot während der Therapieumstellung sprechen.
  • Patienten, die kein Humaninsulin wollen, könnten auch regelmäßig in Berlin (BMG), Siegburg (G-BA) oder Köln (IQWiG, Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) demonstrieren, damit bald alle Diabetiker wieder eine optimale Insulintherapie – auch mit Analoga – bekommen.

Was können Ärzte tun?

Sie dürfen den meisten Typ-2-Diabetikern keine Insulinanaloga mehr verordnen, könnten aber vielleicht versuchen, für bestimmte Patienten eine Übergangsregelung zu bewirken. Außerdem sollten sie allen Patienten, die in die Ausnahmeregelung fallen, weiterhin Analoga verschreiben. Meines Erachtens könnten sie mit viel Zivilcourage den Beschluss auch ignorieren und abwarten, ob die Kassen sehr viele Regressansprüche bearbeiten können. Aber dieses Szenario ist mit großen Risiken für die Ärzte verbunden.

Welche Ausnahmeregelungen gibt es?

Das ist leider bislang nirgendwo eindeutig definiert. Im Beschluss heißt es hierzu: Kurzwirksame Insulinanaloga sind nicht verordnungsfähig, solange sie mit Mehrkosten im Vergleich zu kurzwirksamem Humaninsulin verbunden sind. Das angestrebte Behandlungsziel ist mit Humaninsulin ebenso zweckmäßig, aber kostengünstiger zu erreichen. Für die Bestimmung der Mehrkosten sind die der zuständigen Krankenkasse tatsächlich entstehenden Kosten maßgeblich.“

Danach könnten Ihnen weiterhin Insulinanaloga verordnet werden, wenn

  • Ihre Behandlung mit Analoga billiger ist als es eine Behandlung mit Humaninsulin wäre. Wichtig dabei: Die Analoga sind zwar teurer, jedoch benötigen die meisten Patienten davon deutlich weniger als von einem Humaninsulin.
  • Ihr Behandlungsziel mit der Gabe von Humaninsulin nicht zu erreichen ist. Unklar bleibt jedoch, wer dieses Behandlungsziel festlegt.

Ganz klar unter die Ausnahmeregelung fallen Diabetiker, die auf Humaninsulin allergisch reagieren.

Unser Kommentar:

G-BA, IQWiG und BMG haben unter dem Druck der Kassenvertreter im Gemeinsamen Bundesausschuss die Umsetzung des Beschlusses zur Verordnung von kurzwirksamen Insulinanaloga für Menschen mit Diabetes Typ 2 beschleunigt. Alle pragmatischen Vorschläge, eine Lösung im Sinne der Diabetiker zu finden – beispielsweise eine Übergangslösung bis zur Entscheidung über eine Festbetragsregelung für Analoginsuline – wurden abgelehnt.

Durch die schnelle Veröffentlichung des Beschlusses im Bundesanzeiger gibt es offensichtlich bis heute keine konkreten Handlungsanweisungen für den Umgang mit der Entscheidung in der Praxis. Weder sind die im G-BA-Beschluss erwähnten Ausnahmeregelungen eindeutig definiert, noch gibt es einen Hinweis auf eine Übergangsregelung, damit die behandelnden Ärzte ihre Patienten ausreichend auf die Therapieumstellung vorbereiten können.

In den kommenden Wochen droht somit in Deutschland ein Therapiechaos für insulinpflichtige Typ-2-Diabetiker. Die Sparhardliner, wie beispielsweise der Kassenvertreter im G-BA, haben gesiegt. Die Konsequenzen sind nicht absehbar – weder für die betroffenen Diabetiker, noch für die Krankenkassen. Denn auf diese könnte möglicherweise eine regelrechte Kostenlawine zurollen durch umgestellte Typ-2-Diabetiker, die mit schweren Unterzuckerungen stationär behandelt werden müssen oder langfristig durch eine schlechtere Stoffwechseleinstellung mit teuren Spätfolgen hohe Kosten verursachen.

Zudem war es dem IQWiG offenbar wichtiger, ein Exempel zu statuieren als sich auf praktikable Vorschläge zum Wohle der Patienten einzulassen. Nachdem nämlich die Nutzenbewertung für Typ-2- und Typ-1-Diabetiker getrennt vorgenommen wurde, ist eine schnelle Festbetragsregelung für Insulinanaloga juristisch erst nach Abschluss des Verfahrens für Typ-1-Diabetiker, also frühestens im 1. oder 2. Quartal 2007, möglich.

Leider gibt es somit zum jetzigen Zeitpunkt weitaus mehr offene Fragen als Antworten. Aber wir werden Sie selbstverständlich auf dem Laufenden halten, sobald uns aktuelle und hoffentlich gesicherte Informationen vorliegen.

IQWiG, G-BA und BMG haben die Suppe angerichtet – was nun?

Allen war klar, dass der Tag kommen wird, an dem die Änderung der Arzneimittel-Richtlinie in Kraft tritt und die Krankenkassen für Typ-2-Diabetiker keine kurzwirksamen Insulinanaloga mehr übernehmen. Seit dem 29. September ist diese Änderung nun Gesetz – und niemand scheint richtig vorbereitet zu sein. Nachricht lesen