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Was bringen mir neue Technologien, welche Anwendungen wünsche ich mir?

Redemannuskript zum Vortrag von Stephanie Haack, Typ-1-Diabetikerin, Bloggerin und Autorin zu Diabetes-Themen, im Rahmen der Jahrespressekonferenz der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) am 12. Februar 2019 in Berlin.

Eine Diabetespatientin berichtet über ihre Erfahrungen

Stephanie Haack, Typ-1-Diabetikerin, Bloggerin und Autorin zu Diabetes-Themen. Meine Diabetes-Geschichte beginnt im Internet. Vor knapp zehn Jahren bemerkte ich die klassischen Symptome: Über Monate hinweg war ich immer wieder krank und wurde immer weniger leistungsfähig. Als der unstillbare Durst hinzukam, tippte ich meine Symptome in Google ein und die Suchergebnisse waren eindeutig. Am nächsten Tag machte meine Ärztin es offiziell: Ich habe Diabetes Typ 1.

Doch obwohl ich meine Diagnose damals digital selbst in die Hand genommen hatte, kam ich leider nicht auf die Idee, weiter im Internet zu forschen. Hätte ich das getan, wären die ersten Jahre vielleicht anders gelaufen. Stattdessen tat ich mich sehr schwer: Ich fühlte mich isoliert, von meinem Diabetologen nicht unterstützt und hatte Schwierigkeiten, mich zu motivieren.

Nach einigen Jahren fand ich endlich wieder Antrieb und einen Diabetologen, der mich bestärkte. Bei der Vereinbarung eines Folgetermins fiel ihm auf, dass ich diesen in meinem Smartphone notierte. Er reichte mir einen Flyer der Diabetes Online Community: "Sie sind ja so modern und digital unterwegs - vielleicht ist das hier etwas für Sie!" Das war der Anstoß, den ich gebraucht hatte, denn bei meinen darauffolgenden Internet-Recherchen eröffnete sich mir eine ganz neue Welt. Eine Welt, in der ich nicht mehr allein war, sondern in der ich mich mit Tausenden anderen Menschen mit Typ-1-Diabetes verbinden und austauschen konnte. Für mich stand schnell fest: Ich wollte Teil dieser Community sein. Vor vier Jahren begann ich deshalb meinen Blog, auf dem ich meine Erfahrungen aus dem Alltag mit Diabetes teile.

In den letzten Jahren hat sich dieser Alltag komplett gewandelt: Statt schmerzhaften Fingerpiksens trage ich nun einen Sensor, der kontinuierlich meinen Gewebezucker misst und diese Information an mein Smartphone, sogar an meine Smartwatch, sendet. Statt mühsamen Tagebuchführens bekomme ich automatisch Analysen und kann meine Aufzeichnungen einfach mit meinem Diabetes-Team oder meinen Angehörigen teilen. Tatsächlich habe ich im letzten Jahr den Schritt zu einem DIY-Closed-Loop-System gewagt. Hier wird meine Insulinpumpe über eine Smartphone-App teilweise automatisch gesteuert, was bei mir zu fantastischen Ergebnissen geführt hat.

Der technologische Fortschritt hat meine Diabetes-Therapie grundlegend verändert und mir ein großes Maß an Lebensqualität geschenkt. Doch das volle Potenzial der Digitalisierung ist meiner Meinung nach noch längst nicht ausgeschöpft.

Ein Punkt, der mir besonders wichtig ist: In vielen Debatten um digitale Angebote für Menschen mit Diabetes geht es darum, diese mehr zu motivieren, sich intensiver um ihren Diabetes zu kümmern, sich mehr in ihrer Therapie zu engagieren. Als Mensch, der selbst lange Zeit mit Motivationsproblemen zu kämpfen hatte, halte ich das grundsätzlich nicht für falsch. Doch die eigentliche Zielsetzung sollte in meinen Augen eine andere sein - und zwar das Gegenteil! Das Ziel der Digitalisierung im Diabetes-Management muss sein, dass ich nicht mehr, sondern weniger Zeit und Energie auf den Diabetes verwenden muss.

Ich lebe mit einer chronischen Krankheit, die mich mein ganzes Leben lang begleiten wird. Jeden Tag verwende ich Zeit und Energie auf das Management dieser Krankheit. Dazu gehören nicht einfach nur das klassische Blutzuckermessen, Kohlenhydrate-Schätzen und Insulin-Verabreichen. Jede Fahrt in meine Diabetespraxis, jede Minute Wartezeit im Vorzimmer, jede Rezeptbestellung, jedes Telefonat mit meiner Krankenkasse, jeder Gang in die Apotheke … all das kostet mich Lebenszeit und Lebensqualität. Aber nicht alles davon hat für mich und meine Therapie einen Mehrwert.

Deshalb wünsche ich mir, dass der digitale Wandel mir die lästigen, unnötigen Schritte ohne Mehrwert abnimmt: Ich möchte weniger oft in meine Diabetespraxis fahren. Routinegespräche werden per Videochat durchgeführt. Rezepte werden automatisch an meine Apotheke geschickt. Medikamente und Hilfsmittel werden automatisch an die Haustür geliefert. Wichtige Termine und Screenings werden automatisch ausgemacht. Befunde von Fachärzten werden mir nicht mehr auf Papier mitgegeben, sondern direkt in meiner E-Patientenakte gesammelt.

Auf persönliche Betreuung möchte ich nicht komplett verzichten, sondern ich möchte sie gezielt nutzen. Für medizinische Untersuchungen oder persönliche Gespräche mit wertvollem Inhalt. Ich wünsche mir menschliche Interaktion, wenn sie für mich und meine Therapie hilfreich ist. Zusammenfassend wünsche ich mir, dass die Digitalisierung mir einen Teil der Last abnimmt, die der Diabetes unweigerlich mit sich bringt. Damit ich meine Energie in mein Leben stecken kann - nicht in meinen Diabetes.

(Es gilt das gesprochene Wort!)

Bildunterschrift: Stephanie Haack, Typ-1-Diabetikerin, Bloggerin und Autorin zu Diabetes-Themen
Bildquelle: Diabetes-Portal DiabSite

zuletzt bearbeitet: 01.03.2019 nach oben

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