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Prävention beginnt in der Politik
Statement von Barbara Bitzer, Sprecherin der Deutschen Allianz für Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) und Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft, Berlin, im Rahmen der Vorab-Pressekonferenz im Vorfeld der 19. Diabetes Herbsttagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) am 28. Oktober 2025 online.Typ-2-Diabetes bei Kindern stoppen
Seit 15 Jahren setzt sich das Wissenschaftsbündnis DANK, dem inzwischen 24 medizinische Fachgesellschaften und Organisationen angehören, für umfassende und gesamtgesellschaftliche Maßnahmen der Verhältnisprävention ein. Und das langjährige und - für manche - wohl auch unbequeme Engagement des Wissenschaftsbündnisses ist heute relevanter denn je, denn nichtübertragbare Krankheiten kosten wertvolle Lebensjahre und Lebensqualität und bergen zudem das große Potenzial, unser Gesundheitssystem schon in naher Zukunft finanziell und personell zu überfordern.
Aus dem viel gelobten "Exportweltmeister Deutschland" wird das internationale Schlusslicht im Kampf gegen nichtübertragbare Krankheiten. In diesem Kampf gegen Diabetes Typ 2, Adipositas, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder bestimmte Krebsarten erzielte Deutschland unter den hochentwickelten Ländern noch nach den USA zuletzt die geringsten Fortschritte - so bestätigte es die Weltgesundheitsorganisation Ende September. Fakt ist:
- Deutschland leistet sich eines der teuersten Gesundheitssysteme in Europa und liegt bei derLebenserwartung dennoch deutlich unter dem EU-Durchschnitt.
- Die Anzahl der Krankheitstage in Deutschland liegt auf Rekordniveau.
- Die Politik diskutiert über die Rente mit 70, nimmt dabei aber überhaupt nicht in den Blick, wie die Menschen länger und gesünder alt werden können, um im Beruf leistungsfähig zu bleiben.
- Die Politik debattiert wöchentlich über hohe Kosten im Sozialsystem, aber das gesellschaftliche und finanzielle Potenzial von echter Prävention bleibt unbeachtet.
- Immerhin: Die Bundesregierung will das sogenannte "begleitete Trinken" ab 14 Jahren verbieten und prüft erneut auch ein Rauchverbot im Auto, wenn Kinder und Schwangere mitfahren, um vulnerable Gruppen besser vor schädlichen Gesundheitseinflüssen zu schützen.
Dabei zeigen uns andere Länder in Europa seit Jahren, wie mehr Gesundheitsschutz mit gezielter und umfassender Verhältnisprävention gelingen kann. Von einer Herstellerabgabe auf zuckergesüßte Getränke bis hin zu Werbeschranken für ungesunde Lebensmittel, die sich an Kinder richten, und gesunden Ernährungsangeboten in Kita und Schule. Und wir wissen: Diese Maßnahmen wirken! Zwar wird derzeit in verschiedenen Foren und auch auf politischer Ebene viel und gern über Prävention gesprochen, aber zumeist werden die falschen Schlüsse gezogen. Denn allein auf Appelle an die Eigenverantwortung, einzelne Projekte für einen gesunden Lebensstil und freiwillige Maßnahmen der Industrie zu setzen, ist zu wenig. Das haben uns die vergangenen 15 Jahre gezeigt.
Dabei möchte ich noch mal klarstellen: Es geht uns nicht darum, ungesunde Lebensmittel zu verbieten, Eltern Vorschriften zu machen oder Werbung an sich zu verbieten - wie es von der Industrie gerne dargestellt wird. Es geht uns darum, ein Umfeld zu schaffen, das es allen Menschen leichter macht, sich gesund zu ernähren und sich mehr zu bewegen - unabhängig von der Herkunft, dem Bildungsgrad oder dem Geldbeutel. Die Entscheidung dafür, was im Einkaufswagen und auf dem Teller landet, soll und muss natürlich jeder und jede selbst treffen. Aber wir können das Umfeld, in dem wir leben, so anpassen, damit die gesunde Wahl zur einfachen Wahl wird.
Dabei kommt der Kommunikation eine zentrale Rolle zu, wenn wir die Politik, aber auch die Verbraucherinnen und Verbraucher mitnehmen möchten. Statt von "Verboten" und "höheren Steuern" zu sprechen, die schon per se negativ besetzt sind, sollten wir die Chancen dieser Maßnahmen betonen, denn sie schränken nicht ein, sondern sichern wertvolle Lebensjahre mit einer hohen Lebensqualität.
Und dabei haben wir die Menschen in unserem Land an unserer Seite - anders, als es uns die Politik oftmals suggerieren möchte. Eine Studie des Verbraucherzentrale Bundesverbands aus dem Sommer zeigt, dass die Mehrheit politische Maßnahmen für eine gesündere Ernährung befürwortet. Mehr als neun von zehn der Befragten halten es demnach für sehr oder eher sinnvoll, die Mehrwertsteuer auf gesunde Lebensmittel wie Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte abzuschaffen. Fast neun von zehn der Befragten sprechen sich für strengere Werbebeschränkungen für Produkte mit viel Fett, Zucker und Salz zum Schutz von Kindern aus. 79 Prozent befürwortet eine Abgabe auf stark zuckerhaltige Getränke, um Hersteller zu motivieren, den Zuckergehalt zu reduzieren.
Und genau darum geht es: Um den Schutz dieser und der nächsten Generationen und um mehr Lebensqualität für alle Menschen - unabhängig von ihrer Herkunft, dem Bildungsgrad und dem Geldbeutel. Es ist keine persönliche Einschränkung oder ein Verlust von Lebensqualität oder Lebensfreude, wenn Werbung für Zuckerbomben nicht mehr ungebremst die Kinderzimmer flutet oder die Hersteller von stark gesüßten Limonaden mit einer Abgabe dazu angeregt werden, ihre Rezepturen anzupassen und den Zuckergehalt in diesen Getränken zu reduzieren. Ganz im Gegenteil: Mehr Kinderschutz in der Lebensmittelwerbung oder ein gesundheitsförderndes Steuersystem, das gesunde Produkte entlastet und gesundheitsschädliche höher besteuert, sichern Chancengleichheit, gesellschaftlichen Zusammenhalt und am Ende auch das Wirtschaftswachstum, das sich die Bundesregierung auf ihre Fahnen geschrieben hat.
Es gilt das gesprochene Wort!
Bildunterschrift: Barbara Bitzer, Sprecherin der Deutschen Allianz für Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) und Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft.
Bildquelle: www.diabsite.de
