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Neue PCOS-Leitlinie für Ärztinnen und Ärzte
Früher erkennen, ganzheitlich behandeln - mehr Lebensqualität für Betroffene
Das polyzystische Ovarsyndrom (PCOS) betrifft jede zehnte Frau im gebärfähigen Alter. Die Hormonstörung führt oft zu Zyklusstörungen, unerfülltem Kinderwunsch und erhöhten Risiken für Diabetes sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Jetzt liegt erstmals eine umfassende S2k-Leitlinie vor, die unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) in Zusammenarbeit mit weiteren medizinischen Fachgesellschaften[*] entstanden ist. Damit erhalten Ärzt/innen aktuelle Empfehlungen, die eine schnellere Diagnose, gezielte Therapie sowie Vorbeugung von Folgeerkrankungen und damit spürbar mehr Lebensqualität für die Betroffenen ermöglichen.
PCOS ist eine der häufigsten Hormonstörungen bei Frauen und oft mit ernsthaften gesundheitlichen Risiken verbunden. "Es handelt sich um ein komplexes endokrinologisch, gynäkologisch und internistisches Krankheitsbild mit bisher unklarer Ursache", erklärt Dr. med. Cornelia Jaursch-Hancke, leitende Endokrinologin an der DKD HELIOS Klinik Wiesbaden und Koordinatorin der Leitlinie. Die Stoffwechselstörung bewirkt, dass die Eierstöcke zu viele männliche Sexualhormone wie Testosteron produzieren, was zu hormonellem Ungleichgewicht, Zyklusstörungen und zystenähnlichen Bläschen an den Eierstöcken führen kann. Dieser Überschuss verursacht zudem häufig Symptome wie starke Körperbehaarung, dünner werdendes Kopfhaar und Übergewicht.
"PCOS bleibt häufig unerkannt. Neben Zyklusstörungen, erhöhten männlichen Hormonen und unerfülltem Kinderwunsch steigt bei betroffenen Frauen auch das Risiko für weitere Erkrankungen: Typ-2-Diabetes, Schwangerschaftsdiabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Fettleber sowie psychische Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen. Daher ist eine frühe Diagnose entscheidend", ergänzt Professor Dr. med. Susanne Reger-Tan, Direktorin der Klinik für Diabetologie und Endokrinologie am Herz- und Diabetes-Zentrum NRW, Universitätsklinikum Ruhr-Universität Bochum und Mitkoordinatorin der Leitlinie.
Überarbeitete Diagnosekriterien
Die Leitlinie präzisiert die Diagnostik gemäß den sogenannten Rotterdam-Kriterien. Demnach liegt ein PCOS vor, wenn mindestens zwei der folgenden drei Kriterien erfüllt sind:
klinischer Hyperandrogenismus (nicht zwingend erhöhte männliche Hormone, aber sichtbare Symptome wie beispielsweise vermehrte Behaarung/Akne) und/oder biochemischer Hyperandrogenismus (erhöhte männliche Hormone)
Ovulatorische Dysfunktion: Störung der normalen Eizellreifung und/oder ein ausbleibender/unregelmäßiger Eisprung
Polyzystische Ovarmorphologie (PCOM), eine Veränderung der Eierstöcke, und/oder eine hohe Konzentration des Anti-Müller-Hormons (AMH), das in den Eierstöcken produziert wird und Ausschluss relevanter Differenzialdiagnosen
"Die Symptome bei PCOS sind sehr ähnlich zu anderen Erkrankungen, beispielsweise der Schilddrüse, Tumoren oder des Cushing-Syndroms. Bei der Diagnose müssen behandelnde Ärzt*innen daher andere Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen ausschließen. Nur dann können wir die Diagnose PCOS zweifelsfrei sicherstellen", so Jaursch-Hancke.
Regelmäßige Kontrollen auf Risikofaktoren
Die Leitlinie empfiehlt regelmäßige Untersuchungen auf Risikofaktoren und Begleiterkrankungen ausdrücklich: "Besonders wichtig ist die Überprüfung des Zuckerstoffwechsels beispielsweise mit einem oralen Glukosetoleranztest, da Frauen mit PCOS unabhängig vom Alter ein erhöhtes Risiko für Diabetes Typ 2 und Schwangerschaftsdiabetes haben. Dafür räumt die Leitlinie mit der weit verbreiteten Annahme auf, dass die Messung der sogenannten Insulinresistenz eine zentrale Bedeutung für Therapieentscheidungen hat. Es sollten außerdem regelmäßige Kontrollen von Gewicht, Blutdruck und Fettstoffwechsel durchgeführt werden, um rechtzeitig präventive und therapeutische Maßnahmen einzuleiten", so Reger-Tan. Ärzt*innen sollten ebenso auf psychische Belastungen wie Depressionen, Angststörungen oder ein negatives Körperbild achten und dies frühzeitig in die Behandlungen einbeziehen.
Neue Leitlinie als Fundament für eine vernetzte PCOS-Versorgung
Zur Behandlung des PCOS empfiehlt die Leitlinie eine multimodale und individuelle Therapie. Im Mittelpunkt stehen insbesondere Lebensstiländerungen wie regelmäßige körperliche Aktivität, Gewichtsreduktion bei Übergewicht und gesunde Ernährung. "Es ist wichtig, die Betroffenen erst einmal dort zu unterstützen, wo sie selbst aktiv werden können. Je nach Symptomprofil und Kinderwunsch lassen sich diese Maßnahmen gezielt mit medikamentösen Therapien wie orale Kontrazeptiva, Metformin oder antiandrogene Medikamente ergänzen", erklärt Jaursch-Hancke. Damit dieser Ansatz greift, müsse die Behandlung fachübergreifend erfolgen. "Nur im Team aus Endokrinologie, Gynäkologie, Diabetologie und Psychologie können wir Frauen mit PCOS optimal behandeln und Komplikationen vorbeugen."
"Medizinische Leitlinien haben eine große Bedeutung für die Gesundheitsversorgung. Ärztinnen, aber auch Patientinnen und Angehörige anderer Gesundheitsberufe erhalten so eine praxisrelevante, allgemein zugängliche Leitlinie auf aktuellem Stand der Wissenschaft. Mit der neuen PCOS-Leitlinie liefern wir einen klaren Handlungsrahmen für die behandelnden Ärzt*innen und verbessern so langfristig die Lebensqualität der Betroffenen", erklären die beiden Koordinatorinnen der Leitlinie abschließend. Eine Leitlinie, die sich an Patientinnen richtet, ist derzeit in Arbeit und wird noch in diesem Jahr veröffentlicht.
Zur Leitlinie: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/089-004
Interessenkonflikte:
Dr. med. Cornelia Jaursch-Hancke gibt an, dass keine Interessenskonflikte vorliegen.
Prof. Dr. med. Susanne Reger-Tan gibt an, dass keine Interessenskonflikte vorliegen.
* mitgewirkt an der Leitlinie haben: Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM), Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP), Deutsche Gesellschaft für klinische Pharmazie (DGKPha), Deutsche Gesellschaft für Dermatologie (DDG), Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG), Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), Deutsche Adipositas Gesellschaft (DAG), PCOS Selbsthilfe Deutschland e.V., Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), Deutsche Gesellschaft für Kinderendokrinologie und -diabetologie, Deutsche Gesellschaft für Reproduktionsmedizin (DGRM), Deutsche Gesellschaft für gynäkologische Endokrinologie und Fertilität (DGGEF), Deutsche Gesellschaft für medizinische Psychologie (DGMP), Deutsche Gesellschaft für angewandte Endokrinologie (DGAE), Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG), Deutsche Menopause Gesellschaft (DMG), Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE), Berufsverband Deutscher Internistinnen und Internisten (BDI)
Bildunterschrift: Professor Dr. med. Susanne Reger-Tan, Direktorin der Klinik für Diabetologie und Endokrinologie am Herz- und Diabetes-Zentrum NRW, Universitätsklinikum Ruhr-Universität Bochum und Mitkoordinatorin der Leitlinie.
Bildquelle: Herz- und Diabeteszentrum NRW
Foto: Peter Hübbe