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Wechselspiel der Hormone wird zu wenig beachtet
Frauen müssen in der Diabetesberatung spezifischer begleitet werden
In der Diabetes-Therapie erfahren hormonelle Schwankungen im weiblichen Körper häufig keine große Beachtung. Dabei haben Östrogen und Progesteron auch einen Einfluss auf den Insulinspiegel. Der Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e.V. (VDBD) macht deshalb auf das spezielle Zusammenspiel des Hormon- und Blutzuckerspiegels bei Frauen aufmerksam und setzt sich für eine entsprechende Diabetesberatung in bestimmten Lebenssituationen ein. Davon profitieren nicht nur Frauen mit manifestiertem Diabetes. Denn rund sechs Prozent der werdenden Mütter entwickelt im Laufe der Schwangerschaft einen Gestationsdiabetes. Neben der medizinischen Begleitung hilft dabei auch eine individuelle Beratung, die aufklärt und ermutigt, anstatt Ängste zu schüren.
Ob der weibliche Monatszyklus, die Pubertät, Schwangerschaft oder die Menopause - Hormonschwankungen begleiten Frauen zeitlebens. Doch die Auswirkungen auf den Körper sind weitreichender, als allgemein bekannt ist: So spielt der weibliche Hormonspiegel auch bei chronischen Erkrankungen wie Diabetes eine Rolle. Denn ein Abfall oder auch ein sprunghafter Anstieg des Östrogen- oder Progesteronspiegels verstärkt, beziehungsweise schwächt die Insulinresistenz ab. Das führt zu deutlichen Schwankungen des Blutzuckerspiegels.
"Es existieren zu diesem Thema kaum Daten oder Studien. Auch gibt es nur wenige Experten, die sich mit diesen hormonellen Zusammenhängen sehr gut auskennen", sagt Dr. rer. medic. Nicola Haller, Vorsitzende des VDBD. Doch gerade weibliche Jugendliche mit Diabetes Typ 1 hätten häufig mit stärkeren Blutzuckerschwankungen und zugleich einem Prämenstruellen Syndrom (PMS) zu kämpfen, erklärt Haller. Bei PMS handelt es sich um komplexe körperliche und emotionale Beschwerden im Zusammenhang mit dem Menstruationszyklus, die vier bis vierzehn Tage vor dem Eintreten der Regelblutung auftreten können und mit Beginn der Regel aufhören. Hier sei es wichtig, den Bedarf an Insulin genauer anzupassen. "Diabetespatientinnen müssen deshalb individueller beraten und begleitet werden", erklärt Dr. Gottlobe Fabisch, Geschäftsführerin des VDBD.
Doch auch Frauen ohne eine manifeste Diabeteserkrankung können unter den hormonbedingten Blutzuckerschwankungen leiden. So gehört Gestationsdiabetes mellitus (GDM) mit einer Prävalenz von 5,9 Prozent zu den häufigsten Schwangerschaftskomplikationen. "Wir wissen heute, dass ansteigende Blutglukosewerte während der Schwangerschaft bestimmte Risiken für die Schwangeren und ihre Kinder verstärken. Deshalb gehört eine entsprechende Kontrolle auch zu den Vorsorgeuntersuchungen", erklärt Dr. Nicola Haller. Ein Glukoseintoleranztest bringt dabei den oft unbemerkten Gestationsdiabetes zutage. Seit 2012 ist das GDM-Screening eine Kassenleistung und muss zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche allen werdenden Müttern angeboten werden. Die Teilnahme an diesem Screening ist aber freiwillig. "Aufklärung ist hier elementar", sagt Haller. "Zumal viele betroffene Frauen ihren Blutzucker hinterher aus dem Blick verlieren, wenn sich die Hormone wieder eingespielt haben." Normalerweise erfolgt acht bis zwölf Wochen nach Geburt eine Kontrolle - doch nicht alle nehmen diesen Termin auch wahr. Außerdem haben Frauen mit Gestationsdiabetes ein erhöhtes Risiko für eine spätere Manifestation der Stoffwechselerkrankung. "Mit jeder Schwangerschaft erhöht sich dieses Risiko", ergänzt Haller. Dabei ist Schwangerschaftsdiabetes gut in den Griff zu bekommen. Bereits eine Basistherapie mit Ernährungsumstellung, vermehrter Bewegung und Gewichtskontrolle hilft in 70-90 Prozent der Fälle, die Einstellungsziele zu erreichen.
Der VDBD bedauert, dass generell zu wenig auf die Bedürfnisse der Patientinnen geachtet wird: "Eine frauenspezifische Beratung und Behandlung von Frauen mit Diabetes, die auch den weiblichen Hormonzyklus und mögliche Hormonschwankungen berücksichtigen, könnten möglichen Problemen bei der Diabetestherapie entgegenwirken", sagt Dr. Gottlobe Fabisch. Eine gezielte Aufklärung über das Wechselspiel von Blutzucker- und Hormonspiegel könne den Patientinnen helfen, Zusammenhänge besser zu verstehen. "Viel liegt auch in der eigenen Hand", macht Dr. Nicola Haller betroffenen Frauen Mut. Elementar sei es zum Beispiel, das Verständnis für die richtige Ernährung zu stärken und sich ausführlich mit der Wirkung bestimmter Lebensmittel auf den Blutzucker auseinanderzusetzen. "So ist nicht nur die Qualität und Menge der Kohlenhydrate relevant, sondern auch die Kombination der Makronährstoffe", erklärt die VDBD-Vorsitzende. Hier setze deshalb auch die individuelle Beratung der Diabetesfachkräfte an.
Bildunterschrift: Dr. rer. medic. Nicola Haller, Vorsitzende des VDBD.
Bildquelle: www.DiabSite.de