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Sterblichkeit durch Diabetes Typ 2 nimmt ab

Redemanuskript von Professor Dr. med. Baptist Gallwitz, Pressesprecher der DDG und Kommissarischer Direktor, Medizinische Klinik IV, Universitätsklinikum Tübingen, im Rahmen der Online-Pressekonferenz der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) am 13. Mai 2021.

Innovative Therapiestrategien verbessern die Lebensqualität und Prognose von Menschen mit Diabetes

Professor Dr. med. Baptist Gallwitz, Pressesprecher der DDG Durch eine bessere medizinische Versorgung der Menschen mit Diabetes hat die Sterblichkeit durch Diabetes in den letzten Dekaden abgenommen. Nach wie vor haben Menschen mit Diabetes jedoch ein zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko für einen frühzeitigeren Tod bei einer durchschnittlich vier bis sechs Jahre kürzeren Lebenserwartung im Vergleich zur gleichaltrigen, nicht an Diabetes erkrankten Bevölkerung. Bei allen Todesfällen in Deutschland sind 16 Prozent mit einem Typ-2-Diabetes-assoziiert, Folge- und Begleiterkrankungen, vor allem diabetesbedingte kardiovaskuläre Erkrankungen sind die Ursache hierfür.[1] Darüber hinaus erhöht Diabetes die Wahrscheinlichkeit für gesundheitliche Beeinträchtigungen und reduzierte Lebensqualität.

Bei Typ-2-Diabetes, der circa 90 Prozent aller Diabetesfälle ausmacht, haben erstmals im Jahr 1998 die Studienergebnisse der United Kingdom Prospective Diabetes Study (UKPDS) gezeigt, dass eine Blutzuckersenkung das Risiko für das Auftreten von mikrovaskulären Folgeerkrankungen (Gefäßschäden am Auge und/oder an der Niere) signifikant senken kann.[2] In der Zehn-Jahres-Nachbeobachtung der in diese Studie eingeschlossenen Patientinnen und Patienten zeigte sich dann auch eine signifikante Senkung der makrovaskulären Komplikationen (plötzlicher Herztod, nicht tödlicher Herzinfarkt und nicht tödlicher Schlaganfall [Abkürzung MACE-3]).

Seit 2008 müssen für neue Diabetesmedikamente im Rahmen der Zulassung Daten zur kardiovaskulären Sicherheit vorgelegt werden. Zu zwei neuen Substanzklassen zur Behandlung des Typ-2-Diabetes sind nun seit 2015 sukzessive Studiendaten publiziert, die klare Vorteile für die Risikoreduktion für kardiovaskuläre Endpunkte und für den MACE-3 gezeigt haben. Zum einen sind dies die "Glucagon-like peptide-1"-Rezeptor-Agonisten (Abkürzung GLP-1-RA), zum anderen die "Sodium glucose transporter-2"-Inhibitoren (Natrium-Glukose-Transporter-2-Inhibitoren, Abkürzung SGLT2i).

GLP-1-RA sind Medikamente, die derzeit entweder zur täglichen oder zur einmal wöchentlichen Injektion zur Verfügung stehen. Sie stimulieren nur bei erhöhten Blutzuckerwerten die Insulinsekretion und hemmen die Glukagonsekretion, daher haben sie kein eigenes Hypoglykämierisiko. An Wirkungen außerhalb der Bauchspeicheldrüse sind die Stimulation des Sättigungsgefühls mit Körpergewichtsabnahme, die Verlangsamung der Magenentleerung und die Blutdrucksenkung besonders wichtig.

Alle GLP-1-RA sind im Vergleich zu herkömmlicher Standardtherapie sicher in Bezug auf MACE-3. Darüber hinaus haben vor allem die länger wirkenden GLP-1-RA Überlegenheit bezüglich kardiovaskulärer Endpunkte gezeigt. Dies trifft für die in Deutschland erhältlichen GLP-1-RA Liraglutid, Dulaglutid, und Semaglutid zu. Das Auftreten von MACE-3-Endpunkten konnte in diesen Studien um circa 20 bis 25 Prozent bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und kardiovaskulären Vorerkrankungen gesenkt werden.[3,4,5,6]

SGLT2i wirken direkt an der Niere und führen zu einer Ausscheidung von Glukose über den Urin. So wird der Blutzucker ohne substanzbedingtes Hypoglykämierisiko gesenkt, mit der Glukoseausscheidung über den Urin kommt es auch zu einem Gewichtsverlust. SGLT2i bewirken auch eine vermehrte Ausscheidung von Natrium, dies führt zu einer Blutdrucksenkung und einer Ver-besserung des Blutflusses in der Niere.

Die SGLT2i Canagliflozin, Dapagliflozin und Empagliflozin zeigten in den kardiovaskulären Sicherheitsstudien neben der Reduktion der klassischen MACE-3-Endpunkte vor allem eine signifikante Reduktion der Hospitalisierung bei Herzinsuffizienz (HHI) um etwa 30 Prozent zum einen und einen deutlichen Vorteil bei renalen Endpunkten zum anderen. In der EMPA-REG Outcome-Studie mit Empagliflozin fand sich auch eine signifikant gesenkte Gesamtsterblichkeit mit Empagliflozin bei bereits kardiovaskulär vorerkrankten Menschen mit Typ-2-Diabetes.[7,8,9,10]

Die Ergebnisse dieser Studien hatten zur Folge, dass die Behandlungsleitlinien der Therapie für Typ-2-Diabetes dahingehend aktualisiert wurden, dass für Menschen mit Typ-2-Diabetes und entsprechend hohem kardiovaskulärem Risiko GLP-1-RA oder SGLT2i unabhängig von der Stoffwechsellage möglichst früh nach Beginn einer Therapie mit dem Standardmedikament Metformin schon eingesetzt werden sollen. Diese Empfehlungen sind auch in der neuen Nationalen VersorgungsLeitlinie für den Typ-2-Diabetes und in den Praxisempfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) implementiert.[11,12,13] Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat zudem für die Arzneimittel-Nutzenbewertungen den GLP-1-RA Liraglutid und den SGLT2i Empagliflozin als "zweckmäßige Vergleichstherapie (ZVT)" bei Typ-2-Diabetes eingestuft.

Bei den innovativen Therapiestrategien spielen jedoch nicht nur Medikamente eine Rolle. Viele Menschen mit Diabetes, vor allem mit Typ-1-Diabetes profitieren im täglichen Leben von den Möglichkeiten einer kontinuierlichen Glukosemessung, die gegenüber einer herkömmlichen punktuellen Blutzuckermessung zusätzliche Informationen und Vorteile bietet. Zum einen fällt das häufige, mehrmals tägliche Stechen für die Messung weg und die Patienten haben zudem durch kontinuierliche Messung die Information, in welche Richtung sich die Stoffwechsellage entwickelt. Sie können somit viel besser, zielgerichteter und fundierter Entscheidungen zur Stoffwechseloptimierung treffen, je nachdem, ob die Glukosewerte stabil bleiben, gerade fallen oder im Ansteigen sind. Zudem erlaubt die kontinuierliche Messung einen lückenlosen Überblick über die Stoffwechsellage und die Zeitverläufe im therapeutischen Zielbereich (abgekürzt TIR = "time in range"). Die kontinuierlichen Messgeräte warnen auch bei zu hohen oder zu niedrigen Werten automatisch. Der G-BA hat für bestimmte Behandlungssituationen bei Typ-1-Diabetes einen Vorteil der kontinuierlichen Glukosemessung attestiert und eine Richtlinie für die Verordnung herausgegeben.[14] Die Möglichkeiten, Insulinpumpen über die kontinuierliche Glukosemessung mit zu steuern, nehmen ebenfalls zu und erleichtern die Diabetesbehandlung bei gleichzeitig mehr möglicher Sicherheit.[15]

In Zukunft können zusätzlich Apps und andere digitale Hilfsangebote das Leben mit Diabetes möglicherweise erleichtern. Wichtig ist für die Menschen mit Diabetes ein individuell passendes, abgestimmtes und nach Studien- und Sicherheitslage vorteilhaftes Therapieangebot.

(Es gilt das gesprochene Wort!)

Quellen

  1. Jacobs E, et al. . Burden of Mortality Attributable to Diagnosed Diabetes: A Nationwide Analysis Based on Claims Data from 65 Million People in Germany. Diabetes Care 2017; 40(12): 1703-1709.

  2. No authors listed. Intensive blood-glucose control with sulphonylureas or insulin compared with conventional treatment and risk of complications in patients with type 2 diabetes (UKPDS 33). UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) Group. Lancet 1998; 352(9131): 837-853

  3. Marso SP, et al. Liraglutide and Cardiovascular Outcomes in Type 2 Diabetes. N  ngl J Med. 2016; 375(4): 311-322. doi: 10.1056/NEJMoa1603827

  4. Marso SP, et al. Semaglutide and Cardiovascular Outcomes in Patients with Type 2 Diabetes. N Engl J Med. 2016; 375: 1834-1844. doi: 10.1056/NEJMoa1607141

  5. Husain M, et al. Oral Semaglutide and Cardiovascular Outcomes in Patients with Type 2 Diabetes. N Engl J Med. 2019; 381(9): 841-851. doi: 10.1056/NEJMoa1901118

  6. Gerstein HC, et al. Dulaglutide and cardiovascular outcomes in type 2 diabetes (REWIND): a double-blind, randomised placebo-controlled trial. Lancet 2019; 394(10193): 121-130. doi: 10.1016/S0140-6736(19)31149-3

  7. Zinman B, et al. Empagliflozin, Cardiovascular Outcomes, and Mortality in Type 2 Diabetes. N Engl J Med. 2015; 373: 2117-2128. doi: 10.1056/NEJMoa1504720

  8. Wanner C, et al. Empagliflozin and Progression of Kidney Disease in Type-2 Diabetes. N Engl J Med. 2016; 375: 323-34. doi: 10.1056/NEJMoa1515920

  9. Neal B, et al. Canagliflozin and Cardiovascular and Renal Events in Type 2 Diabetes. N Engl J Med. 2017; 377(7): 644-657. doi: 10.1056/NEJMoa1611925

  10. Wiviott SD, et al. Dapagliflozin and Cardiovascular Outcomes in Type 2 Diabetes. N Engl J Med. 2019; 380: 347-357. doi: 10.1056/NEJMoa1812389

  11. American Diabetes Association. 9. Pharmacologic Approaches to Glycemic Treatment: Standards of Medical Care in Diabetes - 2021. Diabetes Care 2021; 44 (Suppl 1): S111-S124.

  12. Landgraf R, et al. Therapie des Typ-2-Diabetes. Diabetologie und Stoffwechsel 2020; 15 (Suppl 1): S65–S92. doi: 10.1055/a-1193-3793

  13. Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale VersorgungsLeitlinie (NVL) Typ-2-Diabetes - Teilpublikation, 2. Auflage. Version 1. 2021. doi: 10.6101/AZQ/000475.

  14. Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung (MVV-RL): Kontinuierliche interstitielle Glukosemessung mit Real-Time-Messgeräten (rtCGM) zur Therapiesteuerung bei insulinpflichtigem Diabetes mellitus.

  15. Boughton CK, Hovorka R. New closed-loop insulin systems. Diabetologia 2021; 64(5): 1007-1015. doi: 10.1007/s00125-021-05391-w

Bildunterschrift: Professor Dr. med. Baptist Gallwitz, Pressesprecher der DDG
Bildquelle: www.DiabSite.de

zuletzt bearbeitet: 20.05.2021 nach oben

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