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Ökonomisierung in der Medizin

Abstract zum Vortrag von Professor Dr.  med. Dirk Müller-Wieland, Kongresspräsident Diabetes Kongress 2017, Vizepräsident und Mediensprecher der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), Medizinische Klinik I, Universitätsklinikum der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen, im Rahmen einer Pressekonferenz zur 52. Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) am 25. Mai 2017 in Hamburg.

Diabetologie und Endokrinologie leiden besonders stark unter der Gewinnmaximierung

Professor Dr. med. Dirk Müller-Wieland Das deutsche Gesundheitssystem bietet eine hohe Versorgungsqualität, die sich am neusten medizinischen Standard orientiert. Doch diese Qualität und das Wohl der Patienten sind bedroht, weil ärztliche Therapieentscheidungen zunehmend durch betriebswirtschaftliche Erwägungen geleitet werden. Die Klinik ist in vielen Bereichen zum Wirtschaftsunternehmen geworden und soll vor allem Gewinne erzielen. Das ärztliche Personal gerät dadurch verstärkt in den untragbaren Konflikt, zwischen medizin-ethischen Qualitätsstandards, dem Patientenwohl und der wirtschaftlich besten Lösung für das Krankenhaus entscheiden zu müssen. Steht die Gewinnmaximierung im Vordergrund, geht dies vor allem zu Lasten der internistischen Fachdisziplinen wie Diabetologie oder Endokrinologie, deren hoher Anteil an sprechender Medizin weniger stark vergütet wird als technische Leistungen oder chirurgische Eingriffe.

Das Gesundheitswesen ist zunehmend von betriebswirtschaftlichen Denkmustern und Management-Paradigmen durchdrungen. Die Last, in der Klinik "schwarze Zahlen" schreiben zu müssen, ruht dabei häufig auf den Schultern der Ärzte. Dies hängt auch mit dem Vergütungssystem, den Diagnosis Related Groups (DRGs) zusammen. Es belohnt vor allem technische Leistungen wie chirurgische und interventionelle Eingriffe. Ein persönliches "Arzt-Patienten-Gespräch" wird dagegen kaum abgebildet und bedeutet für eine Klinik einen finanziellen Verlust, obwohl es wichtig für den Behandlungserfolg ist. Erschwerend kommt hinzu, dass die finanziellen Anreize auch das Arzt-Patienten-Verhältnis beeinträchtigen. Dabei sind das Vertrauen und die Compliance des Patienten ein zentraler Faktor für den Erfolg der Therapie.

Durch den ökonomischen Wettbewerb sind insbesondere die Abteilungen in Kliniken bedroht, die einen hohen Anteil an sprechender Medizin aufweisen und damit als unrentabel gelten. In den vergangenen Monaten wurden bundesweit mehrere internistische, diabetologische und endokrinologische Klinikabteilungen geschlossen und mit ihnen dringend benötige Weiterbildungsmöglichkeiten für den medizinischen Nachwuchs. Der Druck auf Kliniken und Ärzte, im DRG-System optimal abzurechnen, drängt die Weiterbildung immer mehr an den Rand.

Diese Entwicklung gefährdet die Qualität der Behandlung und damit auch das Wohl der Patienten. Gerade die Patienten der allgemeinen inneren Medizin - beispielsweise Menschen mit Diabetes -, die nicht zuletzt aufgrund des demografischen Wandels eine sich stetig vergrößernde Patientengruppe darstellen und einer professionellen Behandlung bedürfen, sind also besonders betroffen.

Verstärkt wird der Trend der Ökonomisierung der Medizin oftmals dadurch, dass fachfremde Manager die Geschäftsleitungen in Kliniken dominieren und patientenorientierte Konzepte der ärztlichen Leitung selten zum Tragen kommen. Den Ärzten wird damit mehr und mehr die Entscheidungskompetenz über die Art und Weise der Ausübung ihres Berufs entzogen.

Diese Entwicklung beobachten die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) und die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) mit Sorge. Daher schlagen wir sechs zentrale Maßnahmen vor, um dem Trend der zunehmenden Ökonomisierung der Medizin entgegenzuwirken und das Vertrauen in die ärztliche Tätigkeit zu stärken (vergleiche zum Folgenden: Schumm-Draeger PM et al. Patient ist kein Kunde, das Krankenhaus kein Wirtschaftsunternehmen, Deutsche Medizinische Wochenschrift 2016; 141: 1183-1185).

  1. Regeln des ökonomischen Wettbewerbs dürfen das medizinische Handeln zu keinem Zeitpunkt dominieren.

  2. Die Einengung von Tätigkeitsfeldern in der Inneren Medizin auf wirtschaftlich ertragreiche Schwerpunkte in Krankenhäusern ist nicht akzeptabel und muss verhindert werden.

  3. Die Weiterbildung der Ärzte zum Facharzt für Innere Medizin und aller entsprechenden internistischen Schwerpunkte gehört zur Dienstaufgabe leitender Krankenhausärzte und muss unabhängig vom DRG-System personell und finanziell gewährleistet werden.

  4. Unternehmerische Krankenhausentscheidungen müssen im ausgewogenen Verhältnis zwischen leitenden Ärzten, kaufmännischen Direktoren und Pflegeleitung getroffen werden.

  5. Betriebswirtschaftliche Entscheidungen dürfen nicht zu einer ökonomischen Abhängigkeit führen, die ärztliche Entscheidungen in Diagnostik und Therapie beeinflusst.

  6. Vor diesem Hintergrund arbeiten die DDG und die DGIM darin sehr eng zusammen, ihre oben angeführte Positionierung, die eine Basis für ein werteorientiertes Handeln in der ärztlichen Praxis bilden soll, weiter zu vertiefen. Bei der medizinischen Behandlung sollte stets der Patient im Mittelpunkt stehen. Dieses Ziel ist aber nur mit einer gesamtgesellschaftlichen Anstrengung zu erreichen und kann nicht durch die Kliniken allein bewältigt werden.

Hierzu hat die DGIM auf ihrer kürzlichen Jahrestagung unter der Präsidentschaft der Endokrinologin und Diabetologin Frau Professor Schumm-Draeger aus München einen "Klinik-Codex" formuliert und präsentiert.

(Es gilt das gesprochene Wort!)

Bildunterschrift: Professor Dr. med. Dirk Müller-Wieland
Bildquelle: Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG)

zuletzt bearbeitet: 16.06.2017 nach oben

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