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Krank, aber nicht anerkannt

Abstract zum Vortrag von Marcus Schneider-Bodien im Rahmen der Pressekonferenz von diabetesDE und der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) anlässlich der Abstimmung zur geänderten Versorgungsmedizin-Verordnung im Bundesrat, 09.07.2010.

Warum reicht die bisherige Regelung nicht aus?

Marcus Schneider-Bodien Bisher hing die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises für einen Diabetiker davon ab, ob die Erkrankung "schwer einstellbar" ist. Diese schwammige Definition eröffnete Manipulationsmöglichkeiten, aufwendige Verfahren und führte zu erheblichen Ungerechtigkeiten. Nunmehr kommt es in der neuen Fassung der Versorgungsmedizin-Verordnung nicht mehr auf die Qualität der Stoffwechseleinstellung, sondern auf den Therapieaufwand an, der zur Erlangung einer normalen Einstellung medizinisch geboten ist.

Anhand des Verfahrensablaufes ? Urteil Sozialgericht Düsseldorf vom 5. März 2003 - S 31 SB 388/01 - soll die durch die heutige Änderung der 2. Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung (Bundesratsdrucksache 285/10) überholte rechtliche Situation dargestellt werden.

In den bis 2008 geltenden Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht war unter 26.15 ein GdB von 50 und damit ein Schwerbehindertenausweis für einen Diabetiker nur unter der Voraussetzung zu erlangen, dass die Erkrankung schwer einstellbar war und auch gelegentliche, ausgeprägte Hypoglykämien vorkamen.

Dieser klinische Begriff der schweren Einstellbarkeit war nirgendwo konkret juristisch definiert. Auch das damalige Bundesarbeitsministerium für Arbeit konnte auf Rückfrage keine exakte Definition bieten. Praxis war es, dass von den zuständigen Behörden eine schwere Einstellbarkeit nur dann angenommen wurde, wenn fremdhilfepflichtige Hypoglykämien (Unterzuckerungen) dokumentiert waren. Dies führte dazu, dass Betroffene, die vorsätzlich oder fahrlässig Therapieempfehlungen nicht umgesetzt haben beziehungsweise Diätfehler begangen haben und so schuldhaft Hypoglykämien verursacht haben, eher an einen Schwerbehindertenausweis gelangen konnten, als Betroffene, die sorgfältig den ärztlichen Therapieempfehlungen folgten.

Bei Kindern bedeutete dies im Wesentlichen, dass die Versorgungsämter überprüft haben, ob die Eltern in der Lage waren, die Therapieempfehlungen der Mediziner umzusetzen oder nicht. Eltern, die mit der Umsetzung der Therapie überfordert waren, konnten so eher einen Schwerbehindertenausweis für ihre Kinder erlangen, also solche, die sich mit erheblichem Aufwand und Mühe 24 Stunden am Tag bemühten, die ärztlichen Therapieempfehlungen umzusetzen.

Auch die Versorgungsmedizin-Verordnung (Anlage zu § 2) stellte unter Ziffer 15.1 in der bis heute geltenden Fassung allein auf die Qualität der Stoffwechseleinstellung ab. Diese tatsächliche und juristisch wenig befriedigende Situation führte dazu, dass die Deutsche Diabetes-Gesellschaft (DDG) bereits 1994 durch ihren Ausschuss Soziales die Neufassung der Anhaltspunkte dringend empfohlen hat. Es sollte nicht mehr die manipulierbare Stoffwechselqualität maßgebend sein, sondern allein der Therapieaufwand, der zur Erlangung einer normalen Einstellung geboten war, berücksichtigt werden.

Trotz dieser Empfehlung, diverser Gutachten von Fachmedizinern in laufenden Gerichtsverfahren, der oben genannten Entscheidung des Sozialgerichts Düsseldorf und den Bemühungen der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) hat sich der Gesetzgeber bis zum heutigen Tage gesträubt, die gesetzliche Situation dem seit Langem bekannten Stand der Wissenschaft anzupassen.

Dies ist mit dem heutigen Tag geschehen, vereinfacht die Verfahrensweise erheblich und schafft für alle klare Verhältnisse. Für die Betroffenen besteht nicht mehr die Möglichkeit, das Verfahren zu manipulieren. Für Ärzte, Behörden und Gerichte ergeben sich objektive Kriterien und damit einfachere, kostengünstigere Verfahren.

(Es gilt das gesprochene Wort!)

Bildunterschrift: Marcus Schneider-Bodien, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Düsseldorf.
Bildquelle: Deutsche Diabetes-Gesellschaft (DDG)

zuletzt bearbeitet: 09.07.2010 nach oben

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