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Früherkennung von Diabetes Typ 1
Eine dringende Aufgabe für Pädiater*innen und Diabetolog*innen
Die Diagnose Typ-1-Diabetes (T1D) trifft viele Familien plötzlich und unerwartet. Dabei lässt sich das präsymptomatische Frühstadium eines T1D bereits im Kindesalter durch den Nachweis von mindestens zwei Autoantikörpern feststellen. Anlässlich eines von Sanofi organisierten Pressefrühstücks im Rahmen des 58. Kongresses der Diabetes Gesellschaft erklärte Prof. Dr. med. Peter Achenbach, stellvertretender Direktor des Instituts für Diabetesforschung, Helmholtz Munich, dass das durch die Erkennung von T1D im Frühstadium geschaffene Zeitfenster die gezielte Kontrolle und Vorbereitung der Kinder und Familien auf die Stoffwechselerkrankung ermögliche. Dabei verwies er auf aktuelle Ergebnisse der Fr1da-Studie zur Frühdiagnose von T1D.
Konsequenz einer zu späten Diagnosestellung
Typ-1-Diabetes ist eine Autoimmunerkrankung, die mit einer Zerstörung der insulinproduzierenden Betazellen in den Langerhans'schen Inseln und damit absolutem Insulinmangel sowie lebenslanger Substitutionstherapie verbunden ist. Die Zahl der Kinder, die von der Erkrankung betroffen sind, steigt jedes Jahr weiter an. Die Diagnose kommt oft überraschend, denn etwa 90 Prozent der Patient*innen haben keinen an T1D erkrankten Verwandten ersten Grades.[1] Besonders dramatisch sind die Fälle von Kindern, die bei Diabetesmanifestation mit einer diabetischen Ketoazidose (DKA) ins Krankenhaus eingeliefert werden, weil die ersten Symptome unbemerkt geblieben sind oder fehlinterpretiert wurden.[1] Mit jedem Tag, an dem ein T1D nicht erkannt und damit unbehandelt bleibt, steigt das Risiko für die lebensbedrohliche Stoffwechselentgleisung.[2,3] Während der Coronapandemie haben sich die Fallzahlen der DKA bei Neumanifestationen nahezu verdoppelt.[4] Eine DKA bei Manifestation kann langfristig mit neurologischen Beeinträchtigungen sowie einer dauerhaft verschlechterten Stoffwechsellage verbunden sein.[5]
Prof. Dr. med. Peter Achenbach
Stellvertretender Direktor, Institut für Diabetesforschung, Helmholtz Munich"Durch eine Untersuchung auf diabetesassoziierte Autoantikörper können Personen mit einem Typ-1-Diabetes im Frühstadium identifiziert werden - und das schon Jahre vor den ersten Krankheitsanzeichen. Wenn dies der Fall sein sollte, können bereits vor der klinischen Manifestation der Erkrankung wichtige Maßnahmen eingeleitet, betroffene Familien entsprechend geschult und schwere Stoffwechselentgleisungen verhindert werden."
Stadien der Früherkennung
Ein präsymptomatischer T1D lässt sich durch den Nachweis von mindestens zwei Insel-Autoantikörpern diagnostizieren. Diese Autoantikörper können bereits Jahre vor dem Auftreten der ersten Erkrankungssymptome im Blut festgestellt werden. Im Stadium 1 sind weder klinische Symptome noch erhöhte Blutzuckerwerte bei den Betroffenen festzustellen. Erkennen lässt sich das Anfangsstadium durch den Nachweis von zwei oder mehr mit T1D assoziierten Autoantikörpern. Das Stadium 2 ist gekennzeichnet durch eine schnell absinkende funktionelle Betazellmasse, was sich auf den Glukosestoffwechsel in Form einer zunehmenden Dysglykämie auswirkt. Im Stadium 3, wenn die Masse insulinproduzierender Betazellen auf ein geringes Niveau gesunken ist, treten klinische Symptome auf und Hyperglykämie ist messbar. Diese Einstufung ermöglicht eine individuelle Verlaufskontrolle und Behandlung der Betroffenen.[6]
Präsymptomatische Personen identifizieren
Liegen mindestens zwei Autoantikörper vor, entwickeln nahezu 100 Prozent der Betroffenen innerhalb von 20 Jahren einen klinischen T1D.[7] Derzeit wird eine Früherkennung des T1D in präsymptomatischen Stadien der Erkrankung lediglich im Rahmen einer Studienteilnahme angeboten. Eine bevölkerungsbasierte Früherkennung im Kindes- und Erwachsenenalter würde die Möglichkeit eröffnen, eine effektive Senkung der Komplikationsrate bei klinischer Manifestation zu erzielen.[8]
Fr1da-Studie
Um Kinder im präsymptomatischen Stadium des T1D zu identifizieren, initiierte das Team des Instituts für Diabetesforschung, Helmholtz Munich unter der Leitung von Prof. Dr. med. Anette-Gabriele Ziegler die Fr1da-Studie. Seit 2015 wurden dabei von mehr als 680 Praxen über 190.000 Kinder auf Insel-Autoantikörper untersucht. Die Fr1da-Studie bietet eine Früherkennungsuntersuchung auf Insel-Autoantikörper über Kinder- und Jugendärzte in Bayern, Sachsen, Niedersachsen und Hamburg für Kinder im Alter von 2 bis 10 Jahren an. Nähere Informationen finden Sie hier. Darüber hinaus können auch Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene bis 21 Jahre aus anderen Bundesländern teilnehmen, wenn ein familiärer Hintergrund für T1D besteht. Mehr dazu hier. Eine kürzlich veröffentlichte Projektion eines theoretisch im Jahre 2024 begonnenen Screenings in Deutschland über die nächsten 20 Jahre zeigt, dass sich langfristig jährlich annähernd 21.000 Kinder und Jugendliche mit einem T1D im Frühstadium in der pädiatrischen Versorgung befinden würden.[9]
Chancen für das Management der fortschreitenden Autoimmunerkrankung
Kinder, bei denen im Rahmen der Fr1da-Studie ein präsymptomatischer T1D diagnostiziert worden war, zeigten bei klinischer Manifestation im Stadium 3 eine mildere Erkrankung als Kinder ohne vorherige Untersuchung auf Insel-Autoantikörper.[10] Weiterer Vorteil einer Diagnose im Frühstadium ist, dass dadurch das Stresserleben sowie das Risiko einer Traumatisierung von Betroffenen zu Erkrankungsbeginn reduziert werden kann - dies ermöglicht eine verbesserte Lebensqualität.[10] Liegt ein Frühstadium vor, haben die Betroffenen grundsätzlich die Möglichkeit, an Interventionsstudien teilzunehmen.
T1D früher erkennen und eingreifen
Das Krankheitsmodell bei T1D hat sich verändert: Eine Insel-Autoimmunität, bestimmt durch zwei oder mehr T1D-spezifische Autoantikörper, gilt mittlerweile als das erste Stadium der Erkrankung. Dieser präsymptomatische Diabetes wird in den USA ab dem 1. Oktober 2024 als Diagnose-Code ICD-10 der WHO Gültigkeit erlangen, eine Einbeziehung in die ICD-11 ist in Planung. Die flächendeckende Einführung einer Frühdiagnose der Erkrankung im Kindesalter könnte den Weg zu neuen präventiven und personalisierten Behandlungen eröffnen.
Mehr Informationen zum Thema Frühdiagnose des Typ-1-Diabetes finden Sie unter: gemeinsam-typ1.de.
Quellen
Achenbach P. Früherkennung und präventive Behandlung des Typ-1-Diabetes. Diabetologe 2018;14:212–213.
Frühe Erkennung von Diabetes mellitus bei Kindern und Jugendlichen wesentlich letzter Zugriff: 22.05.2024
Schober E, Fritsch M. Diabetische Ketoazidose bei Kindern und Jugendlichen. Journal für Klinische Endokrinologie und Stoffwechsel - Austrian Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism 2011;4(2):7–10.
Kamrath C, Mönkemöller K, Biester T, et al. Ketoacidosis in Children and Adolescents With Newly Diagnosed Type 1 Diabetes During the COVID-19 Pandemic in Germany. JAMA 2020;324(8):801-4.
Mönkemöller K, et al. Kann die Ketoacidose bei pädiatrischen Patienten mit Manifestation eines Diabetes mellitus Typ 1 vermieden werden? Lehren aus der COVID-19-Pandemie. Monatsschr Kinderheilkd 2021;169(5):451–460.
Landgraf R, et al. Definition, Klassifikation, Diagnostik und Differenzialdiagnostik des Diabetes mellitus: Update 2022; Diabetologie 2022;17(Suppl 2):1–13.
Gorus FK, et al. Twenty-Year Progression Rate to Clinical Onset According to Autoantibody Profile, Age, and HLA-DQ Genotype in a Registry-Based Group of Children and Adults With a First-Degree Relative With Type 1 Diabetes. Diabetes Care 2017;40(8):1065–1072.
Markus BA, Achenbach P, Ziegler AG. Typ-1-Diabetes: Früherkennung und Ansätze zur Prävention. Diabetologe 2020;16(7):654–661.
Bonifacio E, et al. Effect of population-wide screening for presymptomatic early-stage type 1 diabetes on paediatric clinical care. Lancet Diabetes Endocrinol 2024;6:S2213–8587.
Hummel S, et al. Children diagnosed with presymptomatic type 1 diabetes through public health screening have milder diabetes at clinical manifestation. Diabetologia 2023;66:1633-1642.
Bildunterschrift: Prof. Dr. med. Peter Achenbach
Bildquelle: www.diabsite.de