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Typ-2-Diabetes

Insulinresistenz oder Kalorienresistenz?

Aktuelle Studien vorgestellt und kommentiert von Prof. Helmut Schatz

Im ENDOKRINOLOGISCHEN DISKUSSIONSFORUM der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie vom 23.11.2015 ging es um die Frage, ob es sich beim Typ-2-Diabetes um Insulinresistenz handelt oder stattdessen um Kalorienresistenz. Helmut Schatz stellte einen Vortrag von Philipp Home aus Newcastle zur Diskussion, den dieser beim 13. Kongress der Rumänischen Gesellschaft für Diabetes, Ernährung und Stoffwechselkrankheiten vom 4.-6. November 2015 in Timisoara/Temeswar gehalten hatte. Dabei vertrat Philipp Home die Ansicht, dass dem Typ-2-Diabetes als pathophysiologische Ursache nicht eine Resistenz der Leberzellen gegenüber Insulin zugrunde liege, sondern eine Resistenz gegenüber einem Kalorienüberangebot. Die Leber hat einfach keinen Platz mehr, um Blutzucker zu Glykogen umzuwandeln und dieses dann zu speichern. Deshalb wandelt sie den überschüssigen Zucker zu Fett um. Weil die "Fettparkplätze" im Unterhaut Fettgewebe mit der Zeit vollständig besetzt sind, wird das weiter hinzukommende Fett in der Leber selbst und in der Bauchspeicheldrüse abgelagert. Die Leber wird resistent gegen weitere Zuckerverwertung und die Bauchspeicheldrüse verliert die Fähigkeit, Insulin zu produzieren.

Philipp Home verglich den Glukosestoffwechsel mit einem Auto, wobei er den Motor des Autos mit der Leber gleichsetzte und das Benzin mit dem Insulin. Benzin hält den Automotor am Laufen und bewirkt dass das Auto fährt - Insulin hält den Glukosestoffwechsel der Leber am Laufen und bewirkt, dass es dem Menschen gut geht. Wird nun das Auto mit schweren Lasten beladen, dann verbraucht der Motor mehr Benzin. Er verbraucht mehr Benzin, nicht weil er resistent gegen das Benzin geworden ist, sondern weil das Auto überlastet ist. Entsprechend reagiert der Mensch auf eine Kalorienüberlastung. Die Leber wird nicht resistent auf Insulin, sondern wird resistent gegen das Überangebot von Glukose. Soweit die von Philipp Home vorgestellte Hypothese.

Liest man aufmerksam die Literatur über Verbesserung der Insulinresistenz bei Patienten mit Typ-2-Diabetes, z. B. durch bariatrische Chirurgie oder durch Applikation von Substanzen wie GLP-1, Oxytocin, oder durch Hypoxie, dann stellt man fest, dass diese Therapien stets mit einer Reduzierung der Nahrungsaufnahme einhergehen. Es stellt sich mit Recht die Frage, wird die Verbesserung der Insulinresistenz durch bariatrische Chirurgie per se bzw. durch GLP-1, Oxytocin, Hypoxie etc. per se hervorgerufen, oder aber durch die begleitende Verringerung der Nahrungsaufnahme und somit durch Verringerung der Energiezufuhr.

Dieser Frage ging die Newcastler Arbeitsgruppe um Roy Taylor nach. Taylor rekrutierte zunächst elf Patienten mit Diabetes Typ 2 und verordnete ihnen eine achtwöchige Diät. Diese führte ihnen nur so viel Energie zu, wie Menschen nach einer bariatrischen Operation verdauen können: 800 Kalorien am Tag. Danach kehrten sie langsam wieder zu festem, aber recht gesundem Essen zurück. Das Ergebnis war verblüffend. Bei allen elf Patienten verschwand der Diabetes nach acht Wochen und blieb es bei sieben von ihnen bis zur Nachuntersuchung drei Monate später. Taylor sah sich auch an, wie die Bauchspeicheldrüse reagierte: Ihr Fettgehalt sank von durchschnittlich acht auf normale sechs Prozent - und die insulinproduzierenden Zellen nahmen ihre Arbeit wieder auf.

Für eine nachfolgende größere Studie konnte Taylor 30 Patienten für seine Radikaldiät gewinnen. 15 von ihnen hatten den Diabetes seit weniger als vier Jahren, weitere 15 hatten ihn aber schon länger als acht Jahre. Wieder war die Bilanz sehr gut, vor allem für jene, die ihren Diabetes seit weniger als vier Jahren hatten: Zwölf von ihnen, also 87 Prozent, brauchten nach den acht Wochen keine Medikamente mehr. Ihre Leber war nach gut einer Woche wieder insulinempfindlich geworden und ihre Bauchspeicheldrüse produzierte wieder Insulin. Der Blutzucker hatte sich komplett normalisiert, als wäre nie etwas gewesen. Nach sechs Monaten waren die zwölf Patienten noch immer ohne Diabetes, ein dreizehnter Patient kam neu hinzu. Bei der Gruppe, die schon länger, zum Teil über 20 Jahre, mit Diabetes lebte, gelang es immerhin der Hälfte der Teilnehmer, ihren Blutzucker so weit zu senken, dass die Diagnose Diabetes nicht mehr auf sie zutraf.

Kommentar

Diabetes gilt als Krankheit, die unaufhaltsam fortschreitet und die nicht heilbar ist. Erst gibt es eine Tablette, dann mehrere, auch kombiniert mit GLP-1-Analoga, und am Ende steht die Insulintherapie. Aber heilbar - das ist die Lehrmeinung - ist Diabetes vom Typ 2 nicht. Obwohl bekannt ist, dass die Verringerung der Kalorienaufnahme, oder der Abbau von Energiespeichern durch körperliche Aktivität das Krankheitsbild verbessern, so fehlten diesbezüglich bislang systematische klinische Untersuchungen. Der von Roy Taylor gewählte Ansatz ist vielversprechend und sollte - auch gegen den zu erwartenden Widerstand der Fast-Food Industrie und der Hersteller von sogenannten Antidiabetika - weitergeführt werden.

Es bleibt aber die Frage, weshalb manche Patienten bereits im Stadium geringfügiger Adipositas Typ-2-Diabetes entwickeln, andere hingegen erst im Stadium einer fortgeschrittenen Adipositas. Auch hier lässt sich vermutlich der Vergleich mit dem Auto heranziehen. Ein Mercedes, Audi oder BMW hat einen größeren Verbrauch an Treibstoff als ein Kleinwagen. Mit schweren Lasten kommen Mercedes & Co. besser zurecht, als ein Kleinwagen, zum einen, weil sie einen größeren Tank haben und zum anderen, weil sie in der Lage sind, mehr Energie aufzuwenden. Entsprechend könnte es auch beim Menschen sein, sei es nun genetisch bedingt oder aufgrund einer besseren Darmflora. Der eine hat mehr freie "Fettparkplätze" im Unterhaut Fettgewebe oder einen höheren Stoffwechsel-Grundumsatz und kann deshalb eine höhere Energiezufuhr verkraften, der andere ist schlechter damit bestückt und entwickelt Typ-2-Diabetes bereits in einem Stadium, in welchem seine Adipositas noch relativ gering ausgeprägt ist. Der Abbau von Fett in Leber und Bauchspeicheldrüse, und damit eine echte Therapie des Typ-2-Diabetes gelingt - so besagt die hier besprochene Hypothese - durch drastische Reduzierung der Kalorienzufuhr und/oder durch drastischen Anstieg der Verwertung von Kalorien, wie z. B. durch körperliche Aktivität. Denn die Muskeln des Patienten mit Typ-2-Diabetes sind nicht Insulinresistent und können überschüssige Kalorien verwerten.

Klaus-Dieter Döhler, Hannover

Literatur

  • Schatz H: Endokrinologisches Diskussionsforum: Typ-2-Diabetes: Insulinresistenz oder Kalorienresistenz

  • Steven S & Taylor R: Restoring normoglycaemia by use of a very low calorie diet in long- and short-duration Type 2 diabetes. Diabet Med. 2015 Sep;32(9):1149-55

  • Taylor R: Banting Memorial lecture 2012: reversing the twin cycles of type 2 diabetes. Diabet Med. 2013 Mar;30(3):267-75

zuletzt bearbeitet: 30.05.2016 nach oben

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