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Übergewichtige Erwachsene, schwergewichtige Kinder

Abstract zum Vortrag von Prof. Dr. Martin Wabitsch, Präsident der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG) e.V. und ärztlicher Leiter des Hormonzentrums und des endokrinologischen Forschungslabors an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin in Ulm, im Rahmen einer Pressekonferenz zur 31. Jahrestagung der Deutschen Adipositas-Gesellschaft e.V. am 15. Oktober 2015 in Berlin.

Mythen und Pfunde abbauen

Prof. Dr. med. Martin Wabitsch Über die Hälfte der Erwachsenen in der deutschen Bevölkerung ist übergewichtig (BMI > 25 kg/m²). Jeder Vierte bis Fünfte ist schwer übergewichtig bzw. adipös (BMI > 30 kg/m²). Dagegen sind lediglich 7-8 % der Kinder und Jugendlichen adipös. Bei Erwachsenen ist die Adipositas demnach dreimal häufiger als bei Kindern und Jugendlichen.

Adipositas ist eine Krankheit des Gehirns. Bei den Betroffenen liegt eine Fehlregulation des Energiegleichgewichts vor.

Das Körpergewicht ist durch ein komplexes biologisches Regelsystem reguliert. Störungen des Energiegleichgewichts werden mit multiplen Gegenregulationen beantwortet. Betroffene Patienten müssen daher lebenslang auf ihren Lebensstil achten, wenn sie ein reduziertes Körpergewicht langfristig halten wollen. Dies ist meist nur durch eine Unterstützung durch ihre Umgebung bzw. auch fachmännische, verhaltenstherapeutische Unterstützung möglich.

Das Körpergewicht wird durch homöostatische und emotional-kognitive Prozesse im Gehirn in engen Grenzen reguliert. Man geht von einem individuellen Soll-Gewicht aus, das langfristig willentlich nur in begrenztem Maß veränderbar ist. Kurzfristige Änderungen durch Diäten oder extreme Lebensbedingungen oder auch durch Krankheiten sind bekannt. Diese Änderungen sind jedoch von kurzer Dauer und nicht anhaltend. Das ursprüngliche Gewicht wird in kurzer Zeit wieder erreicht.

Insbesondere konnte für die extreme Adipositas in klinischen Studien gezeigt werden, dass durch ambulante konservative verhaltenstherapeutische Maßnahmen mit dem Ziel der Gewichtsreduktion kein Erfolg erreichbar ist.

Beide Systeme interagieren miteinander und das kognitiv-emotionale System unterliegt dem starken Einfluss des homöostatischen Regelkreises, der im Wesentlichen hormonell gesteuert wird.

Die zunehmende Anzahl von übergewichtigen und adipösen Menschen in unserer Bevölkerung ist daher nicht das Ergebnis eines Fehlverhaltens sondern eine Reaktion auf die sich geänderten Lebensbedingungen, in denen die Erwachsenenbevölkerung heute lebt und unsere Kinder aufwachsen. Die Lebenswelt unserer Bevölkerung ist eine adipogene Lebenswelt, also eine Welt in der die Entwicklung einer Adipositas maximal gefördert wird. Hierbei spielen viele Einflussfaktoren eine Rolle - alle Faktoren, die die körperlichen Bewegungsmöglichkeiten einschränken und die Energiezufuhr und Energiedichte im Rahmen der Nahrungsaufnahme beeinflussen.

Adipositas in der deutschen Bevölkerung kann nicht individuell abgebaut werden. Nur durch eine Veränderung der Lebenswelten lässt sich der Gewichtsstatus der deutschen Bevölkerung wieder normalisieren.

Dazu sind weitreichende Maßnahmen im Bereich der körperlichen Bewegung und Ernährung erforderlich, die unter Führung des Staates oder des Landes umgesetzt werden müssen. Die Weltgesundheitsorganisation hat hierzu einen ausführlichen und wissenschaftlich begründeten Katalog an Maßnahmen erarbeitet. Wirksame Maßnahmen sind beispielsweise der Ausbau von Fuß- und Radwegen in Städten, die Vergrößerung von Grün- und Sportanlagen für die körperliche Bewegung der allgemeinen Bevölkerung, das Verbot von Werbung für zuckerhaltige und energiedichte Lebensmittel für Kinder und Jugendliche, die Förderung eines aktiven Lebensstils am Arbeitsplatz und in der arbeitenden Bevölkerung mit der Möglichkeit von 60 Minuten körperliche Bewegung am Tag, die Besteuerung von Zucker und Fett bei gleichzeitiger Kostenreduktion für frisches Obst und Gemüse.

Bis zum Umsetzen dieser Maßnahmen bleibt dem betroffenen adipösen Menschen in unserer Gesellschaft nichts anderes übrig als durch eine strenge Kontrolle seines Lebensstils zu versuchen das Gewicht unter Kontrolle zu halten. Dies wird allerdings nicht einfach sein, da sie dadurch an vielen gesellschaftlichen Aktivitäten nicht mehr gut teilnehmen können.

Therapieprogramme für Patienten mit Adipositas bestehen primär in einer Verhaltensschulung, um das tägliche Bewegungs- und Ernährungsverhalten zu optimieren. Kurze Diäten oder stationäre Therapien zur schnellen Gewichtsabnahme sind unnütz oder sogar schädlich.

(Es gilt das gesprochene Wort!)

Bildunterschrift: Prof. Dr. med. Martin Wabitsch
Bildquelle: Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE)

zuletzt bearbeitet: 17.10.2015 nach oben

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