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Kindern mit Diabetes ein normales Leben ermöglichen und Begleiter der Familien sein

Dr. med. Ralph Ziegler Interview mit Dr. med. Ralph Ziegler, Vorsitzender der Stiftung DZK (Das zuckerkranke Kind)

Frage:
Sie sind Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Kinderdiabetologe und seit einigen Jahren Vorsitzender der Stiftung DZK, Herr Dr. Ziegler. Warum wurde die Stiftung gegründet? Welche Ziele werden verfolgt?
Dr. Ziegler:

Die Stiftung DZK wurde 1994 gegründet, als eine der ersten Tochterstiftungen, die unter dem Dach der Deutschen Diabetes-Stiftung (DDS) agierte. Wir wollen sämtliche Gebiete der medizinischen Forschung unterstützen, die sich mit Diabetes im Kindes- Jugendalter beschäftigen, so das Ziel unserer Stiftung. Ihre Gründung fiel in eine Zeit, in der sich in der Diabetologie viel bewegte. Einerseits wurde erkannt, dass immer mehr Kinder am juvenilen Diabetes, dem sogenannten Typ-1-Diabetes erkranken, wobei man hinsichtlich der Ursachenklärung im Dunkeln tappte. Forschungsvorhaben, die sich mit der Ursache und den Mechanismen der Entstehung des Typ-1-Diabetes beschäftigen, also dem Warum und Wieso, unterstützen wir mit z. T. großen finanziellen Mitteln.

Anderseits etablierten sich Anfang der neunziger Jahre neue Berufsbilder in der Diabetesbetreuung. Die Notwendigkeit des Trainings von Eigenverantwortung in der Therapie beim Betroffenen führte zur Ausbildung von Diabetesberatern, die ab da die Schulung der Patienten übernahmen. Die Erkenntnis, dass Diabetes eine chronische Erkrankung ist, die den Alltag belastet und lebenslang eine Bewältigung erfordert, führte zur Weiterbildung von Fachpsychologen durch die Deutsche Diabetes-Gesellschaft (DDG). Fortan kümmerten sich nicht mehr nur spezialisierte Ärzte um die Belange der Diabetespatienten, sondern interdisziplinäre Behandlungsteams mit Diabetologen, Diabetesberatern, Fachpsychologen und Sozialarbeitern. Diese Betreuungsstruktur hat bis heute Bestand. Für Patienten, vor allem für Kinder, Jugendliche und ihre Familien war diese Entwicklung ein großer Fortschritt. Damit wurde der Blick auf die ganzheitliche Betrachtung des Betroffenen gelenkt. Sie sollten sich trotz chronischer Erkrankung möglichst normal körperlich, geistig und sozial entwickeln. Das ist auch gegenwärtig noch das Ziel.

Frage:
Fast zwei Jahrzehnte Diabetologie und Historie der Stiftung DZK, Herr Dr. Ziegler: Wie hat sich die Behandlung in dieser Zeit verändert? Was konnte für die Kinder und Jugendlichen mit Diabetes erreicht werden?
Dr. Ziegler:

Was wir in zwanzig Jahren sicher erreicht haben, ist eine Verbesserung bei der Steuerung der Therapie und eine Erleichterung in der alltäglichen Behandlung. Anfang der neunziger Jahre waren die Injektionsgeräte zur Insulinapplikation und die Blutzuckermessgeräte noch unhandlich und groß. Letztere verbrauchten größere Blutmengen als heute, sie benötigten auch mehr Zeit für die Messung. Statt zwei Minuten Warten auf den aktuellen Wert, dauert es mittlerweile bei den neuen Geräten nur noch fünf Sekunden bis der Wert ermittelt ist. Die Geräte sind optisch attraktiver geworden, bieten auch Zusatzfunktionen an, wie Speicherung der Messwerte, Alarmsignal bei zu niedrigem oder zu hohem Blutzuckerwert oder Hinweise zum Verhalten, z. B. jetzt Ketonwert im Urin bestimmen oder ähnliches. Bei den Injektionshilfen hat der Pen die Spritze mehr und mehr abgelöst, die Nadeln sind auch feiner geworden.

Wie die Behandlung einfacher gemacht werden kann, dazu wird und wurde immer geforscht. Vieles was zunächst vielversprechend klang, z. B. die Blutzucker-Uhr statt Piks in die Fingerkuppe um den Blutzuckerwert zu bestimmen oder das Insulin zum Inhalieren statt ewiges Spritzen, konnte sich nicht bewähren.

Als Innovationen gelten die Einführung der Insulinanaloga Mitte der neunziger Jahre und der zunehmende Einsatz der Insulinpumpentherapie bei Kindern und Jugendlichen. Insulinanaloga, das sind Insuline die sehr schnell oder aber sehr lange wirken, brachten mehr Flexibilität, ihr Wirkprofil ist der Insulinausschüttung von Stoffwechselgesunden ähnlicher. Dies ermöglicht Patienten heute mehr Freiräume, der Alltag ist weniger stark reglementiert, z. B. bei der Einnahme von Mahlzeiten. Die Behandlung mit der Insulinpumpe brachte eine geringere Injektionshäufigkeit, nur alle ein bis zwei Tage muss die Kanüle "gesetzt" werden. Das kommt Kindern, die Spritzen im Regelfall als Tortur empfinden, entgegen. Noch wichtiger ist aber, dass die Pumpentherapie die physiologsicherste Methode ist, den Insulinbedarf zu imitieren. Nicht größer als ein Handy ermöglicht der Minicomputer die passgenaue Dosierung entsprechend dem körperlichen Bedarf. Über eine kontinuierlich laufende Basalrate wird der Grundbedarf eingestellt, die Dosis kann halbstündlich bis stündlich programmiert werden. Die Mahlzeiten und die Blutzuckerkorrektur werden via Knopfdruck über Bolusgaben abgedeckt. Liegt ein Infekt vor, kann die Basalrate prozentual erhöht werden, spontane Sportaktivitäten werden mit Absenkung der Rate möglich.

Insgesamt hat die technische Entwicklung viele Fortschritte in der Behandlung gebracht. Was die Forschung bislang nicht geschafft hat, ist die Heilung der Autoimmunerkrankung. Diabetesforscher und die Stiftung DZK arbeiten fieberhaft daran, hier ein Stück voranzukommen. Dabei wird u. a. an Grundlagen zum Krankheitsverständnis, zu Inselzelltransplantation, Vorhersagbarkeit und Verhindern des juvenilen Diabetes geforscht. Ist ein Kind bereits am Typ-1-Diabetes erkrankt, sind die Betazellen zerstört und Insulin muss von außen ersetzt werden.

Frage:
Mit Ihren Kollegen leiten Sie in Münster eine pädiatrische Praxis mit dem Schwerpunkt Diabetologie, Herr Dr. Ziegler. Zu Ihnen kommen also viele Kinder mit Diabetes. Was sind die häufigsten Probleme, die Sie sehen? Welche Leistungen werden in der Praxis angeboten?
Dr. Ziegler:

Als Kinderärzte behandeln wir natürlich das gesamte Spektrum der Erkrankungen in dieser Altersgruppe, von akut bis chronisch. Angefangen bei den U-Untersuchungen sehen wir grippale Infekte, gastrointestinale Probleme, Allergien, Unverträglichkeiten, Entwicklungsverzögerungen, Essstörungen, Asthma, ADHS, Zöliakie, Diabetes und vieles andere mehr. Ein Vorteil in unserer Praxis ist, dass wir neben Diabetologie auch den Schwerpunkt Endokrinologie haben. Die Therapie z. B. mit Schilddrüsenhormonen gehört also dazu.

Für Kinder und Jugendliche mit Diabetes bieten wir den regelmäßigen Check der Blutzuckerlage, die Anpassung und gegebenenfalls Umstellung der Therapie an. Wir führen zudem altersentsprechende Schulungen durch, damit die Kinder den Umgang mit Diabetes im Alltag lernen. Für Eltern betroffener Kinder organisieren wir auch Gesprächskreise zum Erfahrungsaustausch, unter Einbezug von Psychologen und Diabetesteam.

Die Probleme, die wir bei Kindern mit Diabetes sehen, sind vielschichtig. Dazu zählen medizinisch in erster Linie Stoffwechselschwankungen oder verstärkt auftretende Hypo- und Hyperglykämien, also Unter- und Überzuckerungen. Psychologisch sehen wir Compliance-Probleme. Wir erleben häufig das Kind überfordernde Erziehungsstile, sei es übertriebene Kontrolle der Eltern oder im Gegensatz dazu die zu lockere Haltung. Ausgelöst durch Angst vor Komplikationen wird der Diabetes oft Mittelpunkt des Lebens. Für Eltern ist es ein Balanceakt, vor dem Hintergrund der Verantwortung für ihr Kind die für die Entfaltung notwendigen Freiräume zuzulassen. Die Diagnose Diabetes beim eigenen Kind ist zunächst ein Schock und ein Einschnitt in der Lebensplanung. Der Familienalltag wird beeinflusst und auch Geschwisterkinder leiden, wenn die ganze Aufmerksamkeit auf dem chronisch erkrankten Kind liegt.

Frage:
Aus Sicht der Eltern wird vielfach bemängelt, dass nicht ausreichend Pädiater zur Verfügung stehen und sich Ärzte unzureichend mit der Diabetestherapie auskennen. Wie ist Ihr Standpunkt dazu, Herr Dr. Ziegler?
Dr. Ziegler:

Die Analyse der Eltern ist nicht falsch. Es gibt tatsächlich zunehmend weniger Kinderärzte, an manchen Orten bricht die pädiatrische Versorgung sogar ganz weg. Nicht nur Eltern, auch wir Pädiater, die wir immer das Wohl des Kindes im Auge haben, beobachten diese Entwicklung mit Sorge. Hier besteht akuter Handlungsbedarf. Eine zentrale Forderung von uns Kinderärzten lautet ebenfalls: Junge Patienten von 0 bis 18 Jahre in pädiatrische Hände!

Mancherorts werden selbst Grundschulkinder von Erwachsenenärzten behandelt. Das kann nicht Ziel sein. Zumindest muss der Kinderarzt konsultiert werden. Nur er hat den Blick auf die Gesamtentwicklung des jungen Patienten.

Für Kinder mit Diabetes und ihre Eltern ist wichtig, dass sie einen kontinuierlichen Ansprechpartner für die Behandlung haben. Dies sollte im Regelfall ein Kinderdiabetologe sein. Das bedeutet nicht, dass der Arzt jede Insulinpumpe und jedes Messgerät bis ins Detail bedienen können muss. Mit den gängigen Therapieprinzipien sollte er aber schon vertraut sein. Bei Jugendlichen muss der Transfer zum Erwachsenendiabetologen gut vorbereitet werden. Bei den klinischen Einrichtungen kommen nur solche infrage, die Abteilungen für Kinderheilkunde und Diabetologie vorhalten. Im Idealfall sind die Kliniken als pädiatrische Behandlungseinrichtung durch die Fachgesellschaft DDG zertifiziert. Diese Anerkennung gewährleistet, dass eine Mindestanzahl von Kindern und Jugendlichen mit Diabetes jährlich betreut wird. Eltern diabetischer Kinder können sich bei Stellen wie der AGPD (Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Diabetologie), diabetesDE und der Stiftung DZK informieren, welche Möglichkeiten zur Verfügung stehen. In diesem Bereich gibt es über das DPV-Register eine gute Erfassung zu Behandlungsqualität und Verlauf der Diabeteserkrankung im Kindes- und Jugendalter.

Frage:
Noch eine abschließende Frage zu Ihrer Stiftung, Herr Dr. Ziegler? Was werden die Herausforderungen der Zukunft sein?
Dr. Ziegler:

Die größte Herausforderung wird sein, auf dem Weg der Heilung voranzukommen. Darauf warten Kinder und ihre Eltern. Erste Schritte zur Vorbeugung der Erkrankung sind schon gemacht. Erst seit kurzem ist es möglich, das Risiko für Typ-1-Diabetes näher einzugrenzen. An Gegenmaßnahmen wie Impfstrategien usw. wird gearbeitet, damit es gar nicht erst zum Krankheitsausbruch kommt. Hier stehen wir allerdings relativ am Anfang. Sicher wird noch einige Zeit vergehen, bis nachgewiesen ist, dass die Erkrankung wirksam verhindert werden kann. Es sind lange Untersuchungszeiträume.

Forschung in diesem Bereich benötigt zweifellos mehr finanzielle Mittel, das wünschen wir uns auch als Stiftung. Wir wollen Aktivitäten in der Forschung unterstützen. Wir wollen zudem Begleiter der Familien sein und dafür sorgen, dass Kinder mit Diabetes ein Leben wie stoffwechselgesunde Gleichaltrige führen können. Die Vermeidung von Komplikationen, die altersgemäße Entwicklung und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gehören dazu. Kinder mit Diabetes dürfen keine Außenseiterposition in Schule und Kindergarten wegen ihrer Erkrankung einnehmen.

Eine künftige Herausforderung wird noch sein, erfolgreiche Strategien zu finden, dass aus übergewichtigen Kindern keine Patienten mit Typ-2-Diabetes werden.

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Bildunterschrift: Dr. med. Ralph Ziegler
Bildquelle: Stiftung DZK

zuletzt bearbeitet: 10.11.2012 nach oben

Wir danken der Stiftung DZK (Das zuckerkranke Kind) für die freundliche Publikationsgenehmigung.

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