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Kurzwirksame Insulinanaloga:

Studien liefern keine Belege für Zusatznutzen bei Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes

Langzeituntersuchungen fehlen / Schadenpotenzial bleibt unklar / Gerade für Menschen in der Entwicklungs- und Wachstumsphase wären aussagekräftige Studien dringend notwendig

Ob Kinder und Jugendliche mit Diabetes mellitus Typ 1 von einer langfristigen Behandlung mit kurzwirksamen Insulinanaloga mehr Vor- oder Nachteile haben als von kurzwirksamem Humaninsulin, bleibt mangels geeigneter Studien unklar. Die verfügbaren Ergebnisse aus klinischen Vergleichen mit höchstens einjähriger Laufzeit liefern jedenfalls keine Belege für einen Zusatznutzen. Das gilt sowohl im Vergleich zu Humaninsulin als auch im Vergleich der Analoga untereinander. Zu diesem Ergebnis kommt der am 16. November veröffentlichte Abschlussbericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).

Weil Insulin gerade in der Wachstums- und Entwicklungsphase des Menschen vielfältige Funktionen hat, und es unklar ist, wie sich Insulinanaloga dabei auswirken, hält das Institut Studien mit längerer Laufzeit für dringend notwendig.

Wichtige Daten zu Kindern und Jugendlichen lagen bei Erst-Bewertung nicht vor

Bei der jetzt vorgelegten Untersuchung handelt es sich um das Nachfolgeprojekt zu einer bereits im März 2007 im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) abgeschlossenen Nutzenbewertung http://www.iqwig.de/index.449.html der kurzwirksamen Insulinanaloga bei Typ-1-Diabetes. Darin hatten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler lediglich Aussagen über Vor- und Nachteile der Wirkstoffgruppe für Erwachsene treffen können, denn zu Kindern und Jugendlichen fehlten ihnen Daten aus abgeschlossenen aber noch unpublizierten Studien. Ein Sponsor dieser Studien, die Firma Novo Nordisk, hatte sich seinerzeit geweigert, entsprechende Informationen zur Verfügung zu stellen. Erst auf öffentlichen Druck hin änderte Novo Nordisk seine Haltung und sagte zu, die gewünschten Daten zu liefern.

Da eine Bewertung unter diesen veränderten Bedingungen neue Erkenntnisse versprach, erteilte der G-BA einen entsprechenden Nachfolgeauftrag, Nutzen und Schaden der Insulinanaloga nur für diese jungen Patientinnen und Patienten zu untersuchen. Ziel sollte es zum einen sein, kurzwirksame Insulinanaloga bei Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes mit kurzwirksamem Humaninsulin zu vergleichen und zum anderen die Effekte verschiedener kurzwirksamer Analoga gegeneinander abzuwägen. Geprüft hat das IQWiG alle drei in Deutschland zugelassenen Analogwirkstoffe: Insulin Aspart (Handelsname: Novorapid), Insulin Lispro (Handelsname: Humalog, Liprolog) und Insulin Glulisin (Handelsname: Apidra).

Längste Studie dauerte nur ein Jahr

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler identifizierten insgesamt nur vier geeignete Studien, die Humaninsulin und Insulinanaloga bei Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes untereinander verglichen. Alle vier Studien untersuchten den Einsatz der Analoginsuline in der intensivierten Spritzentherapie. Zur häufig angewandten Pumpentherapie fand sich keine relevante Studie. In den Studien wurden die jungen Patientinnen und Patienten zwischen 24 und 26 Wochen, in einem Fall 12 Monate untersucht. Studien mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr gibt es derzeit nicht.

Zusatznutzen aus Studien nicht ableitbar

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fanden in diesen Studien keine Belege für einen Zusatznutzen der Analoga. Das gilt sowohl für den Vergleich mit Humaninsulin als auch im Vergleich der Analoga untereinander. Daten lagen im Wesentlichen für die langfristige Blutzuckerkontrolle in Form des HbA1c-Werts und für die Häufigkeit von Unterzuckerungen vor. Wertet man die Ergebnisse zu diesen beiden Aspekten aus, zeigt sich in den Studien jeweils kein Vorteil für eines der Analoginsuline.

Möglicher Schaden unzureichend untersucht

Da geeignete mehrjährige Studien fehlen, sind zum Schadenpotenzial der kurzwirksamen Insulinanaloga kaum Aussagen möglich. In einigen der Studien traten bei Patienten, die Insulinanaloga spritzten, aber häufiger schwerwiegende, zu einem Koma führende Stoffwechselentgleisungen (ketoazidotische Komata) auf. Die Unterschiede waren aber nicht statistisch signifikant, d. h. es könnte sich um eine reine Zufallsbeobachtung handeln. Aufgrund der kurzen Beobachtungsdauer und der wenigen Ereignisse lässt sich nicht sagen, ob die Verwendung von kurzwirksamen Insulinanaloga das Risiko für Ketoazidosen steigert.

Verwendete Messinstrumente für Lebensqualität und Therapiezufriedenheit ungeeignet

Auch zur Lebensqualität und zur Therapiezufriedenheit lassen die Studien keine Aussagen zu. Beide Aspekte wurden lediglich in jeweils einer Studie erhoben. Allerdings waren die Ergebnisse auch hier letztlich nicht interpretierbar, weil die verwendeten Messinstrumente für Kinder- und Jugendliche offenkundig nicht geeignet waren. Dies ist völlig unverständlich, da für Kinder und Jugendliche geeignete Instrumente seit Längerem zur Verfügung stehen.

IQWiG fordert zusätzliche Studien

Obwohl zumindest zwei der derzeit drei Analogpräparate auch Kindern und Jugendlichen bereits seit über 10 Jahren verschrieben werden, gibt es kaum praxisrelevante Studien. Aus Sicht des IQWiG und seiner externen Sachverständigen muss hier dringend Abhilfe geschaffen werden: "Dass Studien fehlen ist gerade bei Kindern und Jugendlichen ein unhaltbarer Zustand", sagt IQWiG-Leiter Prof. Dr. med. Sawicki. "Typ-1-Diabetes tritt meist bereits im Kindes- und Jugendalter auf und die Patientinnen und Patienten müssen das Insulin ein Leben lang spritzen", so Sawicki. Deshalb sei es hier besonders notwendig, die Auswirkungen einer langfristigen Behandlung zu untersuchen.

Zum anderen durchlaufen diese jungen Patienten verschiedene Entwicklungsstadien. Dabei könnten Insulinanaloga bestimmte Körperfunktionen durchaus anders beeinflussen als Humaninsulin. "Wir kennen heute bereits mehr als 100 verschiedene Wirkungen von Insulin, das sind aber längst nicht alle. Gerade wenn sie in der Wachstumsphase verabreicht werden, müssen sie besonders sorgfältig in Studien überprüft werden", fordert der Institutsleiter.

Schließlich zeigt der Abschlussbericht erneut, wie wichtig eine gesetzliche Verpflichtung zur Publikation von Studienergebnissen ist: Obwohl die jetzt für die Bewertung verwendeten Studien zum Teil bereits vor fünf Jahren abgeschlossen wurden, sind sie bis heute nicht veröffentlicht und damit auch nicht allgemein zugänglich.

Zum Ablauf der Berichtserstellung

Die vorläufigen Ergebnisse, den sogenannten Vorbericht, hatte das IQWiG Anfang Juli 2009 veröffentlicht und zur Diskussion gestellt. Nach dem Ende des Stellungnahmeverfahrens wurde der Vorbericht überarbeitet und als Abschlussbericht Ende September 2009 an den Auftraggeber versandt. Eine Dokumentation der schriftlichen Stellungnahmen sowie ein Protokoll der mündlichen Erörterung werden in einem eigenen Dokument zeitgleich mit dem Abschlussbericht publiziert. Der Bericht wurde gemeinsam mit externen Sachverständigen erstellt.

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zuletzt bearbeitet: 16.11.2009 nach oben

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