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Die Tücken der Blutzuckereinstellung

Pressemitteilung: BERLIN-CHEMIE AG

Welche Möglichkeiten bietet die moderne Therapie des Typ-2-Diabetes?

Sind bei der Therapie des Typ-2-Diabetes nur die Betazellen entscheidend? Welche Gefahren bringen Hypo- und Hyperglykämien mit sich? Und kann man überhaupt abnehmen, wenn man orale Antidiabetika einnimmt? Diese und weitere spannende Fragen rund um die Inkretinbasierte Therapie wurden auf dem Symposium der BERLIN-CHEMIE AG am 21. Mai im Rahmen der 44. Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft erörtert.

Unter dem Vorsitz von Professor Andreas Pfeiffer, Berlin/ Nuthetal und Professor Wolfgang E. Schmidt, Bochum, referierten renommierte Experten über "Die Tücken der Blutzuckereinstellung" und welche Möglichkeiten die moderne Therapie des Typ-2-Diabetes bietet.

Inkretinbasierte Therapie - Stand 2009

GLP-1 und GIP sind beim Menschen die beiden wichtigsten Inkretinhormone. Sie sind nach der Nahrungsaufnahme für den Inkretin-Effekt verantwortlich. Bei gesunden Menschen wird die Insulinausschüttung der schnellen ersten Phase hauptsächlich über diesen Effekt gesteuert. "GLP-1 kann die Insulin- und Glucagonwerte im Vergleich zu Placebo normalisieren, aber - und das ist das Besondere - dies geschieht in Abhängigkeit vom Blutzuckerspiegel", erklärte Professor Wolfgang E. Schmidt, Ärztlicher Direktor der Medizinischen Klinik I des St. Josef-Hospitals, Klinikum der Ruhruniversität, Bochum.

Deshalb war es nahe liegend, den verminderten Inkretin-Effekt bei Typ-2-Diabetikern durch die Gabe von GLP-1 wiederherzustellen bzw. den Abbau von GLP-1- durch das Enzym Dipeptidyl-Peptidase-4 zu hemmen. Letzteres wird von der Substanzklasse der Gliptine erreicht. Professor Schmidt stellte die beiden zugelassenen DPP-4-Hemmer vor. Er verwies aber darauf, dass die Gliptine untereinander nicht direkt vergleichbar sind, da eine sogenannte "Head to Head-Studie" fehle. Zum Abschluss seines Vortrages gab Professor Schmidt schließlich noch einen kurzen Ausblick darauf, wie es mit der Inkretinbasierten Therapie zukünftig weitergehen könnte.

Tatort Pankreas: Alles nur eine Frage der Betazelle?

Typ-2-Diabetes entsteht durch eine Insulinresistenz in Folge von Übergewicht und körperlicher Inaktivität. Der Körper hat einen gesteigerten Insulinbedarf, aber die Betazellen in der Bauchspeicheldrüse können das Insulin nur noch unzureichend produzieren. Hinzu kommt eine Überproduktion des Insulin-Gegenspielers Glucagon. Der Blutzuckerspiegel steigt an. "Diesen Vorgang kann man im Prinzip mit drei Therapiekonzepten begegnen" definierte Professor Dr. Andreas Pfeiffer, Berlin/Nuthethal. "Abnehmen, um die Insulinwirkung zu erhöhen, die Funktion der Betazellen erhöhen oder die Wirkung des Glucagons reduzieren". Doch die meisten zugelassenen Substanzklassen wirken ausschließlich auf die Betazellen und nicht auf die für die Glukagonfreisetzung zuständigen Alphazellen im Pankreas.

Die DPP-4-Hemmer bilden hier die Ausnahme. "DPP-4-Hemmer sind die einzig oral verfügbare Therapieoption, die auch die Ebene der Alpha-Zelle adressiert", betonte der Leiter der Abteilung für Endokrinologie, Diabetes und Ernährungsmedizin des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung. DPP-4-Hemmer bewirken über die Erhöhung des aktiven Inkretinhormons GLP-1 eine Hemmung der Glucagonsekretion aus den Alphazellen und damit eine Verminderung der hepatischen Glucoseproduktion; zudem wird die Insulinfreisetzung aus den Betazellen stimuliert. Dies führt zu einer Senkung der Plasmaglucosewerte nüchtern und postprandial sowie der HbA1c-Werte. Einen weiteren Vorteil von DPP-4-Hemmern sieht Pfeiffer in dem geringen Hypoglykämierisiko: "Die Wirkungen auf die Insulin- und Glucagonsekretion sind glucoseabhängig, das heißt, sie kommen nur dann zum Tragen, wenn der Blutzuckerspiegel erhöht ist".

Die Last mit dem Gewicht

Der Einfluss des Lebensstils auf den Verlauf des Typ-2-Diabetes ist allseits anerkannt. Alleine durch die Steigerung der körperlichen Aktivität und eine Kalorienreduzierung der Nahrung könnte die Entwicklung der gestörten Glucosetoleranz reduziert werden. Dennoch wird laut aktualisierter Therapieleitlinie der DDG mit der Diagnose Typ-2-Diabetes von Beginn an die Gabe von Metformin begleitend zu den Maßnahmen im Bereich des Lebensstils empfohlen. Sonst ist die Gefahr groß, dass die Lebensstilinterventionen allein nicht ausreichen und das Risiko späterer mikro- und makrovaskulären Komplikationen mit jedem Monat steigt, in dem man nicht medikamentös behandelt.

Wenn man mit Metformin allein keine zufriedenstellenden Werte mehr erzielen kann, empfiehlt sich die zusätzliche Gabe eines weiteren oralen Antidiabetikums. "Diese wirken sich jedoch unterschiedlich auf die Gewichtsentwicklung aus", erklärte Prof. Andreas Hamann, Bad Nauheim. Sulfonylharnstoffe zum Beispiel steigern die Sekretion von Insulin aus den Betazellen und wirken unabhängig vom Blutzuckerspiegel, was zu Hypoglykämien führen kann. Die unter der Therapie erhöhten Insulinspiegel führen zudem zu einer Gewichtszunahme der ohnehin zumeist adipösen Patienten. Dasselbe gilt auch für die Therapie mit Glitazonen.

Problematisch wird die Gabe von Sulfonylharnstoffen, wenn gleichzeitig weiterhin eine Reduktionskost angepriesen wird. "Wenn die Diabetesberaterin dem Patienten eine Gewichtsreduktion nahe legt und der Arzt verschreibt Sulfonylharnstoffe, befindet sich der Patient in einem Teufelskreis", erläuterte Hamann den Zwiespalt an einem praktischen Beispiel, "denn dann wird dieser Patient gegen seine Hypoglykämien anessen und zunehmen. "Vorteilhafter für das Gewicht und auch die Vermeidung von Hypoglykämien ist hier die Kombination Metformin mit einem DPP-4-Hemmer. Der DPP-4-Hemmer senkt den HbA1c-Wert bei gleichzeitiger Gewichtsneutralität. Im Grunde, so Hamann, werden die Erfolge der Gewichtsreduktion durch die Wahl des Medikamentes mitbestimmt bzw. im ungünstigen Fall werden die Ambitionen konterkariert.

Der Zucker im Keller: Die Gefahr auf leisen Sohlen

Anhand lehrreicher Patientenbeispiele aus seiner Berufspraxis verdeutlichte Privatdozent Dr. Stefan Zimny das Problem der Hypoglykämiewahrnehmung. "Die Gefahr auf leisen Sohlen gehört für viele Patienten zum Alltag" erläuterte der Chefarzt der Abteilung Allgemeine Innere Medizin, Endokrinologie/Diabetologie und Rheumatologie der Helios Kliniken in Schwerin. Die Unterzuckerungen werden besonders dann zum Problem, wenn sie gehäuft auftreten und zu spät wahrgenommen werden. Bewusstlosigkeit sowie Krampfanfälle können die Folge sein.

"Manche Patienten, deren Selbstbeobachtung schlecht ist, neigen aus Angst vor einer Hypoglykämie bei niedrigen Blutzuckerkonzentrationen zu einer übermäßigen Kohlenhydratzufuhr", erklärte Dr. Zimny. Dieses Verhalten führt in vielen Fällen zu einer Gewichtszunahme und ist für den Erfolg der Diabetestherapie nicht förderlich. Hypoglykämien können unter anderem durch einige orale Antidiabetika ausgelöst werden. Die häufig verwendeten Sulfonylharnstoffe gehen laut Dr. Zimny beispielsweise mit einem gewissen Hypoglykämie-Risiko einher. Besser sei hier die Kombination Metformin mit einem DPP-4-Hemmer, deren Hypoglykämiegefahr sich auf Placeboniveau bewegt und die dennoch den Blutzucker senkt.

Schließlich verwies Dr. Stefan Zimny auch nochmal auf die Ergebnisse der ACCORD-Studie, die gezeigt haben, dass der Vermeidung von Nebenwirkungen wie Hypoglykämien und Gewichtszunahme bei kardiovaskulär vorbelasteten Patienten in der Differenzialtherapie des Typ-2-Diabetes eine höhere Priorität zukommen sollte.

Der Zucker im postprandialen Hoch

Doch nicht nur Hypoglykämien stellen eine Gefahr für Typ-2-Diabetiker dar. Nach einer kohlenhydrathaltigen Mahlzeit sind bei den Patienten meist hohe Blutzuckeranstiege zu beobachten. Die Folgen dieser postprandialen Hyperglykämie wurden zum Abschluss des Symposiums von Privatdozent Dr. Matthias Frank, Neunkirchen/Saarbrücken, dargestellt. Der Chefarzt der Saarland Kliniken kreuznacher diakonie betonte in diesem Zusammenhang, dass die Einstellung des postprandialen Blutzuckers gerade in der frühen Phase einer Diabetes-Erkrankung im Hinblick auf das sogenannte "Metabolic Memory" wichtig sei und dies einen frühzeitigen Therapiebeginn unterstreichen würde. Dr. Frank hob auch die Bedeutung des postprandialen Blutzuckers für den HbA1c-Wert hervor.

Inkretinbasierte Therapien, wie z. B. DPP-4-Hemmer, trügen nicht nur über die blutzuckerabhängige Steigerung der Insulinsekretion, sondern auch über die blutzuckerabhängige Hemmung der Glukagonsekretion und die dadurch verminderte Glucoseproduktion in der Leber zur Senkung des postprandialen Blutzuckers bei, betonte Dr. Frank abschließend.

Quelle

Symposium der BERLIN-CHEMIE AG: "Die Tücken der Blutzuckereinstellung". Welche Möglichkeiten bietet die moderne Therapie des Typ-2-Diabetes? Leipzig, 21. Mai 2009

Literaturhinweise

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  • Guideline for Management of Postmeal Glucose. International Diabetes Federation 2007.

zuletzt bearbeitet: 28.05.2009 nach oben

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