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Schwangerschaftsdiabetes: Auf der Suche nach bestmöglicher Früherkennung
23. Deutscher Kongress für Perinatale Medizin, Berlin
Bis zu fünf Prozent aller Frauen bekommen während der Schwangerschaft eine Zuckerkrankheit. Oft bildet sich diese nach der Entbindung wieder zurück, doch für das Kind ist sie mit erheblichen Risiken verbunden, etwa übermäßiges Wachstum mit erschwerter Geburt und Verletzungen, Sauerstoffmangel, Organunreife, lebenslang erhöhtes Diabetes-Risiko für das Kind und in einigen Fällen sogar der Tod im Mutterleib.
Aber der "Schwangerschaftszucker" oder Gestationsdiabetes (GDM) ist gut behandelbar. Gerade deswegen stellt sich die Frage, ob und mit welcher Methode ein Screening - eine Untersuchung aller Schwangeren auf GDM - sinnvoll ist. Eine weltweite Studie, deren neueste Ergebnisse beim Perinatalkongress 2007 erstmals in Deutschland vorgestellt werden, gibt dazu wertvolle Hinweise.
Der Gestationsdiabetes betrifft Frauen, die bisher keine Zuckerkrankheit hatten. Er wird durch stoffwechselaktive Schwangerschaftshormone hervorgerufen, die zu einer verminderten Insulinempfindlichkeit in der Schwangerschaft führen. Kann die mütterliche Bauchspeicheldrüse dies nicht durch mehr Insulin ausgleichen, kommt es zu erhöhten Blutzuckerwerten bei der Mutter und in der Folge auch beim Feten. Die (meist nur bis zur Geburt notwendige) Behandlung des Schwangerschaftsdiabetes besteht in Kontrolle und Absenkung der mütterlichen Blutzuckerwerte durch Diät, körperliche Aktivität und gegebenenfalls Insulin.
Weltweit wurden 25.000 Frauen im Rahmen der HAPO-Studie (HAPO = hyperglycemia adverse pregnancy outcome) begleitet und untersucht. Die Fachwelt wartet gespannt auf die Ergebnisse, von denen sie sich entscheidende Erkenntnisse über die Wirkungen von erhöhten Blutzuckerwerten bei der Mutter auf das ungeborene Kind erhofft. Es ist zu erwarten, dass auf der Grundlage dieser Studie die Diagnostik des Schwangerschaftsdiabetes modifiziert wird. Allererste Ergebnisse der HAPO-Studie sind in diesem Frühjahr auf dem Kongress der Amerikanischen Diabetesgesellschaft vorgestellt worden. Nun stellt Prof. Jeremy Oats (Carlton/Victoria, Australien), HAPO-Beauftragter für Asien und Australien/Neuseeland, erweiterten Ergebnisse der Studie in Berlin vor.
Der Schwangerschaftsdiabetes wird über einen Zuckertest (oGTT) diagnostiziert. In Deutschland ist der oGTT bei jeder Schwangeren nicht Bestandteil der Mutterschaftsrichtlinien, was dazu führt, dass ein beträchtlicher Teil der Schwangeren nicht getestet wird. Vorgesehen ist nur eine Untersuchung der Glukose im Urin, die aber eine sehr geringe Aussagekraft hat. Dabei ist der GMD-Anteil bei Schwangeren in den letzten Jahren angestiegen. Leider ist dies größtenteils darauf zurückzuführen, dass viele Frauenärzte ihren Schwangeren den besseren Test als "IGEL-Leistung" anbieten, die schwangeren Frauen dies also selbst bezahlen müssten.
Der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten und Krankenkassen (G-BA) entschied 2003, dass mit einer eventuellen Aufnahme des Screenings auf GDM in die Mutterschaftsrichtlinien (was bedeutet, dass die Gesetzlichen Krankenkassen die Kosten übernehmen müssen) gewartet werden soll, bis die HAPO-Studie ausgewertet ist. Zur Begründung hieß es, dass international keine einheitlichen diagnostischen Kriterien für den oGTT in der Schwangerschaft existierten und auch noch zu wenig Daten vorlägen, die belegen, dass ein unbehandelter Schwangerschaftsdiabetes Mutter und Kind maßgeblich beeinträchtigen.
In der HAPO-Studie wurden die Schwangeren mittels oGTT untersucht, aber nur behandelt, wenn ihre Zuckerwerte eine bestimmte Grenze überschreiten. Diese Werte (nüchtern mehr als 105 mg/dl (5,8 mmol/l) und/oder über 200 mg/dl (11,1 mmol/l) zwei Stunden nach dem Essen) liegen weit über den jetzigen Kriterien für einen GDM. In den Fällen, die dazwischen liegen, erfuhren weder der behandelnde Arzt noch die Schwangere das Testergebnis (doppelt blind).
Man erhofft sich, bei diesen unbehandelten Patientinnen mit relativ hohen Blutzuckwerten festzustellen, ab welchen Werten vermehrt mit kindlichen Komplikationen zu rechnen ist. Daraus sollen dann Grenzwerte für die Behandlungspflicht abgeleitet werden. Untersucht wurden die wichtigsten Ergebnisse wie zum Beispiel Tod im Mutterleib, erhöhtes Geburtsgewicht, Kaiserschnittrate, Schulterbrüche oder -lähmungen, Unterzuckerung nach der Geburt, erhöhte kindliche Insulinwerte sowie Komplikationen bei der Mutter.
Bisher hat die HAPO-Studie glücklicherweise keine Häufung vorgeburtlicher Todesfälle oder schwerster geburtshilflicher Komplikationen ergeben. Eindeutig zeigte sich aber, dass mit steigenden mütterlichen Blutzuckerwerten gleichermaßen das Risiko für übermäßiges Wachstum des Ungeborenen, Kaiserschnittentbindung und zu hohe Zuckerwerte nach der Geburt stieg. Dies betraf auch Werte, die bisher als normal angesehen wurden.
Zuvor schon hatte eine australische Studie ergeben, dass ein unbehandelter Schwangerschaftsdiabetes die Risiken erhöht. Und kürzlich erschien Arbeit aus den USA, wonach Kinder von unbehandelten Müttern mit grenzwertig erhöhten Werten im oGTT bereits im Einschulungsalter ein erhöhtes Risiko für kindliches Übergewicht hatten.
Der G-BA hat nun das Institut für und Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) beauftragt, unter Berücksichtigung der HAPO-Studie eine "Bewertung des Nutzens und der medizinischen Notwendigkeit des Screenings auf GDM" vorzunehmen. Damit bekommt die HAPO-Studie eine entscheidende Rolle für die Frage, ob es in Zukunft eine Untersuchung aller schwangeren Frauen in Deutschland auf Schwangerschaftsdiabetes geben wird. Im Juni 2008 sollen zudem bei einer internationalen Expertentagung basierend auf den HAPO-Daten neue Grenzwerte definiert werden.
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