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Wichtige Herkunft
Unbestritten haben Ballaststoffe positive Effekte auf die Gesundheit - bisweilen aber spielt es eine Rolle, aus welchen Lebensmitteln sie stammen
Schon auf den ersten Blick wirkt das Thema ein wenig schwer. "Ballaststoffe" - das klingt nach einer Menge Gewicht. Die Bezeichnung trifft aber auch den Kern der Sache, denn Ballaststoffe sind Nahrungsbestandteile, die der menschliche Körper nicht oder nur sehr schwer verdauen kann. Sie stellen also tatsächlich eine zusätzliche Last für den Verdauungstrakt dar. Unnütz sind sie deswegen auf keinen Fall: Unter anderem schützen sie vor Darmkrebs und verbessern die Darmaktivität. Nun hat eine große Beobachtungsstudie unter der Federführung des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DifE) in Potsdam-Rehbrücke darüber hinaus gezeigt, dass eine ballaststoffreiche Ernährung auch das Risiko für Diabetes-Typ-2-Erkrankungen vermindert.
Allerdings spielt es dabei durchaus eine Rolle, woher die Ballaststoffe stammen. Grundsätzlich kommen sie in größeren Mengen vor allem in Obst, Gemüse, Getreide und Hülsenfrüchten vor. Unterschieden wird in wasserlösliche Ballaststoffe wie Pektin sowie wasserunlösliche wie Zellulose, Hemizellulose und Lignin. Das molekulare Grundgerüst besteht bei fast allen aus unzähligen Zuckermolekülen (Ausnahme: Lignin). Unterschiede gibt es in puncto Zusammensetzung und Struktur.
"Obst enthält überwiegend Pektin, während die meisten Getreidearten überwiegend wasserunlösliche Ballaststoffe enthalten", erklärt Dr. Matthias Schulze. Der Wissenschaftler vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke hat sich einer speziellen Fragestellung angenommen: Hängt die Wirkung von Ballaststoffen davon ab, aus welchen Lebensmitteln sie stammen? "In der Vergangenheit hatten einige Studien Hinweise in diese Richtung gegeben", sagt Schulze. Und die Gelegenheit war günstig: Am Potsdamer Institut läuft seit 1993 eine internationale Beobachtungsstudie, die den Zusammenhang zwischen Ernährungsverhalten und bestimmten Krankheiten aufdecken soll. Im Rahmen der sogenannten EPIC-Potsdam Studie haben die Wissenschaftler inzwischen Daten von über 27.500 Teilnehmern gesammelt. Genug Informationen also, um sich diesen Zusammenhang genauer anzuschauen.
Wie Ballaststoffe wirken
Bekannt ist von den molekularen Schwergewichten, dass sie eine unmittelbare Wirkung in Magen und Darm entfalten. Dort gelingt es den menschlichen Verdauungsenzymen nicht, sie in kleine Portionen zu zerlegen. Als langkettige Moleküle aber gelangen sie nicht vom Darm ins Blut und stehen damit dem Stoffwechsel erst mal nicht zur Verfügung. Diese Eigenschaft macht sie so wertvoll: Indem sie Wasser aufnehmen und schon im Magen aufquellen, sorgen sie für ein vermehrtes Sättigungsgefühl. Man isst weniger.
Außerdem bedingt eine ballaststoffreiche Ernährung, dass Kohlenhydrate langsamer ins Blut übertreten - das konnte insbesondere für wasserlösliche Ballaststoffe gezeigt werden. Nach einer solchen Mahlzeit steigt daher der Blutzucker deutlich langsamer an als nach einer ballaststoffarmen. Das entlastet wiederum die Bauchspeicheldrüse, die das blutzuckersenkende Hormon Insulin ausschüttet. Kein Wunder also, dass besonders Typ-2-Diabetikern mit ihren oft erhöhten Blutzuckerspiegeln empfohlen wird, sich ballaststoffreich zu ernähren.
Im Darm sorgen Ballaststoffe für eine bessere Verdauung: Durch ihr großes Volumen reiben sie an der Wand und regen den Darm auf diese Weise zu vermehrter Tätigkeit an. Um den Abbau der Ballaststoffe kümmern sich die Darmbakterien: Allerdings gelingt ihnen das nur bei den wasserlöslichen wie Pektin. Positiver Nebeneffekt: Beim Zerlegen entstehen Moleküle, die von den Schleimhautzellen des Darms verwertet werden. Darüber hinaus profitieren Cholesterin- und Gallensäure-Haushalt von den schwer verdaulichen Stoffen: So binden Ballaststoffe sowohl Cholesterin als auch Gallensäuren und erleichtern deren Ausscheidung. Doch Vorsicht: Wer viele Ballaststoffe verzehrt, sollte seinen Wasserhaushalt im Auge behalten. Sie binden eine Menge Wasser, weshalb eine ausreichende Flüssigkeitsaufnahme nötig ist, um Verstopfungen zu vermeiden.
Vollkorn überrascht
Als nun die Forschergruppe um Dr. Matthias Schulze sich die EPIC-Daten genauer anschaute, stieß sie auf einen gravierenden Unterschied zwischen Ballaststoffen aus Obst und Gemüse auf der einen Seite und aus Vollkornprodukten auf der anderen. "Wir konnten zeigen, dass es in Bezug auf das Risiko, einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln, sehr wohl eine Rolle spielt, aus welchen Lebensmitteln Ballaststoffe stammen", erklärt Schulze. So hatten diejenigen, die viel Vollkornprodukte aßen, ein um 28 Prozent geringeres Risiko, eine Zuckerkrankheit zu entwickeln als jene, die kaum Ballaststoffe zu sich nahmen. Was das Ergebnis noch interessanter macht: Die Diabetes-Gefahr der Teilnehmer, die überwiegend Gemüse und Obst als Ballaststofflieferanten nutzten, blieb unverändert.
"Bei der zusammenfassenden Analyse von acht bisherigen Studien konnten wir diesen Zusammenhang bestätigen", berichtet Schulze. Eine erstaunliche Erkenntnis, auch angesichts der Tatsache, dass die Ballaststoffe aus Vollkornprodukten, Gemüse und Obst keine wesentlichen strukturellen Unterschiede aufweisen. Allerdings enthalten Vollkornprodukte häufig vor allem wasserunlösliche Ballaststoffe. So räumt Schulze denn auch ein, dass die Mechanismen bisher unklar sind: "Warum gerade wasserunlösliche Ballaststoffe aus Getreideprodukten das Risiko senken, ist im Detail noch nicht bekannt. Allerdings könnte auch die Aufnahme von wasserlöslichen Ballaststoffen in den Studien einfach zu niedrig gewesen sein, um einen Effekt zu beobachten." Mehr als eine Beschreibung des Phänomens ist noch nicht möglich - die Suche nach Erklärungen ist in vollem Gange.
Folgerichtig können Ärzte und Mediziner auch noch keine genaueren Ratschläge geben. "Die EPIC-Potsdam Studie ist nur bedingt geeignet, um genaue Empfehlungen bezüglich der Zufuhrmengen unterschiedlicher Ballaststoffe abzuleiten", meint auch Schulze. Dazu bedarf es anderer Untersuchungen, die in Potsdam-Rehbrücke bereits anlaufen. Im Rahmen solcher Interventionsstudien wird die täglich aufgenommene Menge an Ballaststoffen genau festgelegt - und auch aus welchen Lebensmitteln sie stammen. Auf diese Weise soll es gelingen, den Zusammenhang zwischen Herkunft und Stoffwechselwirkung von Ballaststoffen zu erhellen.
Eines aber ist klar: Untersuchungen wie die EPIC-Studie, bei der die Teilnehmer nach ihren Ernährungsgewohnheiten befragt werden, bergen gewisse Unsicherheiten. Denkbar wäre zum Beispiel, dass diejenigen, die mehr Vollkornprodukte zu sich nehmen, grundsätzlich mehr auf ihre Ernährung achten und das niedrigere Diabetesrisiko auf dieses Verhalten zurückzuführen ist. "Da wir bei der Analyse unserer Studie sehr detailliert das Essverhalten und andere Lebensstileigenschaften berücksichtigt haben und unsere Ergebnisse mit Daten aus anderen Studien übereinstimmen, ist es unwahrscheinlich, dass der festgestellte Unterschied auf einem allgemein gesünderen Essverhalten beruht", sagt Schulze und räumt aber ein: "Ganz ausschließen lässt sich ein solcher Einfluss aber nicht."
Die neuen Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen Ballaststoffen aus Vollkornprodukten und Diabetes-Risiko lassen in jedem Fall aufhorchen. Sie unterstützen die aktuellen Ernährungsempfehlungen, die eine tägliche Aufnahme von 30 Gramm Ballaststoffen nahelegen.