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BVMed-Sonderveranstaltung zur Integrierten Versorgung

Chancen für mehr Qualität und Wirtschaftlichkeit

Die Zukunft besteht aus Einzelverträgen

Integrierte Versorgungsmodelle bieten die Chance, durch neue Strukturen effiziente und qualitativ höherwertige Versorgungsleistungen zu erbringen und die starre Sektorentrennung zu überwinden. Mit der Gesundheitsreform 2000 eingeführt, aber in der Entwicklung nicht bemerkenswert vorangeschritten, erhält die Integrierte Versorgung mit der Gesundheitsreform 2004 neue Impulse.

Das war die Ansicht der Experten der BVMed-Sonderveranstaltung "Integrierte Versorgung und Medizinische Versorgungszentren" am 4. Mai 2004 in Berlin vor über 120 Teilnehmern aus Industrie- und Handelsunternehmen. Wichtig ist es nach Ansicht der Experten von Kassen und Leistungserbringern, die durch das Gesundheitsreformgesetz vorhandenen Handlungsspielräume aktiv zu nutzen und die Patienten offensiv von den Vorteilen der Integrierten Versorgung zu überzeugen. Kritisch werde allerdings die Regelung gesehen, dass Leistungen in der Integrierten Versorgung unabhängig vom Zulassungsstatus erbracht werden dürfen. Dies widerspreche dem Ziel der Qualitätsverbesserung. Konkrete Beispiele präsentierte die Barmer Ersatzkasse, die seit Anfang des Jahres bereits 15 Verträge zur Integrierten Versorgung abgeschlossen hat.

In seinem Fazit bezeichnete BVMed-Geschäftsführer Joachim M. Schmitt die Integrierte Versorgung als "Versuch der Umverteilung der endlichen Mittel des Gesundheitswesens, um die Versorgungsqualität zu verbessern und Ineffizienzen zu beseitigen". Selektives Kontrahieren sei der Trend der Zukunft. Darauf müssten sich die Industrie- und Handelsunternehmen der Medizintechnologie einstellen und auf die möglichen Partner aus Krankenkassen- und Leistungsanbieterseite offen zugehen. Im nachstationären Bereich sehen die Experten der BVMed-Veranstaltung besonders gute Chancen für Homecare-Unternehmen, um die Patientenversorgung aus einer Hand zu managen.

Oda Hagemeier vom BVMed wies in ihrem Einführungsreferat darauf hin, dass auch vier Jahre nach der erstmaligen Verankerung der Integrierten Versorgung im Gesetz in der Praxis noch keine relevanten Integrierten Versorgungsverträge vorliegen. Gründe seien u. a. die Fokussierung auf den ärztlichen Bereich, die ungeklärte Finanzierung sowie fehlende Anreize für Industrie und Handel. Auch die oft zitierten Motoren der Integrierten Versorgung wie die Einführung der DRGs und Disease Management Programme "kommen nicht wirklich zum Tragen", so Hagemeier. Eine neue Chance bieten nun die Anreize durch das Gesundheitsreformgesetz seit Anfang des Jahres. Allerdings müssten zahlreiche Hürden überwunden werden: beispielsweise die gewachsenen Interessenskonflikte der Vertragspartner, die fehlenden finanziellen Anreize oder Akzeptanzprobleme bei den Patienten. Für eine stärkere Einbeziehung der Industrie- und Handelsunternehmen müsste geklärt werden, für welche Versorgungsbereiche Integrierte Versorgung gelte, nach welchen Kriterien Krankenkassen die Vertragspartner auswählen oder wie der Wettbewerb von der Preis- auf die Qualitätsebene verlagert werden kann.

Dr. Ulrich Orlowski, Leiter der Unterabteilung Krankenversicherung im Bundesgesundheitsministerium, ging auf zwei Strukturziele der Gesundheitsreform 2004 ein. Als erstes Strukturziel nannte er die Weiterentwicklung der kollektiven Versorgungsstrukturen, z. B. durch die Neuordnung der ärztlichen Vergütung, die hausarztzentrierte Versorgung oder die Teilöffnung der Krankenhäuser. Ein weiterer wichtiger Aspekt seien die Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) als neuer Teilnehmer in der ambulanten ärztlichen Versorgung. Diese seien fachübergreifend ärztlich geleitete Einrichtungen, die entweder mit angestellten Ärzten, Vertragsärzten oder einer Kombination arbeiten.

Zweites Strukturziel der Gesundheitsreform sei die Stärkung der Integrationsversorgung. Ziel ist die Etablierung alternativer sektorübergreifender Versorgungsstrukturen mit verbesserter Qualität und Effizienz auf der Grundlage eines eigenständigen Einzelvertragssystems. Als Änderung gegenüber der Regelung aus dem Jahr 2000 wurden Integrationsbudgets auf Kassenebene (1-%-Regelung) - mit einem Volumen von 440 Mio. Euro stationär und 220 Mio. Euro ambulant - eingeführt. Außerdem sind die Kassenärztlichen Vereinigungen nicht mehr am Integrationssystem beteiligt. Integrationsverträge sind nunmehr Einzelverträge mit Krankenkassen. Mögliche Vertragspartner sind alle zugelassenen Leistungserbringer, also auch Medizinische Versorgungszentren oder Medizinprodukte- und Pharmaunternehmen. In dieser neuen Konstellation der Integrationsversorgung als echtes Einzelvertragssystem sieht Dr. Orlowski eine "dauerhafte Chance" für sektorenübergreifende Versorgungskonzepte. Verträge seien aber nur dann sinnvoll, "wenn echte, tragfähige Versorgungsalternativen entstehen".

Auf bereits 15 Verträge zur Integrierten Versorgung in diesem Jahr konnte Nikolaus Schmitt, Projektleiter bei der Barmer Ersatzkasse, der größten deutschen GKV-Einzelkasse, zurückblicken. Damit sei die Barmer "führend im System". Ziel der Kasse sei es, eine abgestimmte medizinische Versorgung in Kompetenznetzen und Integrationsverbünden mit Ärzten und Krankenhäusern zu entwickeln, die mehr Qualität bei mehr Wirtschaftlichkeit erbringe. Außerdem wolle man den Patienten durch verstärkte Einbindung souveräner machen und die Marktposition der Kasse durch eine aktivere und führende Rolle bei der Integrierten Versorgung mit musterhaften Verträgen stärken. Der Hauptbereich der Integrierten Versorgungsverträge sind stationäre Projekte, zunächst in der Kardiologie und der Endoprothetik. "Hier haben wir beste Voraussetzungen durch organisierte Leistungserbringer in einem finanziell relevanten Bereich." Nächste Schritte sind ambulantes Operieren, kurzstationäre Leistungen und die Betreuung chronisch Kranker.

Wichtig sei es, die Patienten von den Vorteilen der Integrierten Versorgungsmodelle zu überzeugen. Bei den Endoprothetik-Verträgen bewirke z. B. eine bessere Qualität auch eine bessere Gewährleistung: 5 Jahre für endoprothetische Leistungen, 10 Jahre auf Material- und Behandlungsfehler. Hinzu komme ein finanzieller Bonus durch die Erstattung der Zuzahlung bis max. 150 Euro. Ein neuer Barmer-Vertrag beziehe neben Kliniken und Reha-Einrichtungen auch 80 niedergelassene Ärzte ein. Wichtig sei hier die Definition der Schnittstellen von der hausärztlichen Betreuung zur kardiologischen Betreuung sowie zur interventionellen Diagnostik bzw. Therapie, "damit klar ist, wer was macht".

Dr. med. Thomas Heil, General Manager des MedizinZentrums Berlin-Lichtenberg, stellte das Krankenhaus als Partner und Träger Integrierter Versorgungen vor. Die Kliniken müssten den gestiegenen Gestaltungsspielraum nutzen, um dem Kostendruck durch die DRGs entgegenzuwirken. Dazu gehörten eine optimierte Auslastung der personellen, räumlichen und medizintechnischen Infrastrukturen, aber auch eine bessere Steuerung der Patientenströme mit Hilfe von Managed Care Systemen wie Disease Management Programmen (DMP) und Integrierten Versorgungsmodellen.

Als konkretes Beispiel stellte Dr. Heil das MedizinZentrum auf dem Gelände des Krankenhauses Lichtenberg mit 22 niedergelassenen Fachärzten, OP-Bereichen mit vier Sälen, einer Apotheke, einem Sanitätsfachhandel und einem Bistro vor. Dies sei für den Patienten "eine willkommene Bündelung von Kompetenzen". Mit dem Krankenhaus gebe es gemeinsame Einrichtungen, z. B. Spezialsprechstunden sowie OP-Säle für ambulantes Operieren. Die Einrichtung eines solchen Integrierten Versorgungskonzepts "kommt einer Unternehmensgründung gleich", so Dr. Heil: von der Geschäftsidee über das Unternehmer-Team bis hin zum benötigten Kapital. Potential für die BVMed-Mitgliedsunternehmen sieht er bei den chirurgischen (minimal-invasiv, konventionell) und internistischen (Diabetes, KHK etc.) Behandlungsverfahren sowie beim Wundmanagement und in der Schmerztherapie.

Edgar J. Schmitt, Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA), ging auf die Bedeutung der Krankenhausapotheke im Rahmen der Integrierten Versorgung ein. Von den 2.240 Krankenhäusern haben 537 eine eigene Apotheke. Sie versorgen 888 weitere Häuser, so dass insgesamt 1.425 Kliniken von einer Krankenhaus-Vollapotheke (KVA) versorgt werden. Medizinprodukte werden dabei zunehmend wichtiger. In der Bedeutung innerhalb der Krankenhauspharmazie sind sie den Arzneimitteln gleichgestellt. "Im Sinne der Integrationsversorgung wäre die Abstimmung der hauseigenen Medizinprodukteliste mit den niedergelassenen Ärzten und Offizin-Apotheken von großem Vorteil, aber auch mit großem Kommunikationsaufwand verbunden", so Schmitt.

Auf die großen Chancen Integrierter Versorgungsmodelle ging Jan Hacker, Geschäftsführender Partner bei Oberender & Partner Unternehmensberatung, ein. Er sieht im Gesundheitsmodernisierungsgesetz eine zaghafte Fortsetzung in Richtung eines selektiven Vertragswettbewerbes. "Das ist ein sinnvoller Rückzug des Gesetzgebers aus der Verantwortung für die Versorgung, da der Kollektivvertragsansatz gescheitert ist." Integrierte Versorgung sei eine "spannende Entwicklung mit großen Chancen". Das Akutkrankenhaus stehe dabei im Zentrum vernetzter Versorgungsstrukturen der Zukunft. Der Markt werde sich gewaltig ändern - und die Industrie- und Handelsunternehmen der Medizintechnologie werden sich darauf einstellen müssen: "Integrationsverträge bieten die Möglichkeit, neue Strategien zu entwickeln." Es sei aber nicht für jeden Leistungserbringer unbedingt sinnvoll und notwendig, an Integrierter Versorgung (IV) teilzunehmen.

Basis eines IV-Vertrags sei die Definition eines gemeinsamen Behandlungspfades und die Abgrenzung zur bisherigen Therapieform. "In den definierten Behandlungspfaden sind dann auch ganz konkret Medizinprodukte enthalten, beispielsweise bei der modernen Wundversorgung. Es entsteht also ein neues Kundenspektrum mit anderen Anforderungen", so Hacker. Kritisch beurteilt er die Disease Management Programme (DMP). "Die DMPs stellen derzeit eher ein Hindernis bei der Umsetzung der Integrierten Versorgung dar und werden nicht lange überleben." Noch unbefriedigend organisiert sei der nachstationäre Bereich. Hier seien die Homecare-Unternehmen ein wichtiger Partner. "Hier steckt viel Musik drin!", bringt es Hacker auf den Punkt. "Durch Homecare-Dienstleister findet eine starke Integration in den Behandlungsprozess statt." Zur künftigen Positionierung als Service-Dienstleister sei eine frühzeitige Beteiligung am Integrationsprozess empfehlenswert. Sein Fazit: "Trotz offensichtlicher Risiken können Integrierte Versorgungsmodelle Win-Win-Situationen für alle Beteiligten schaffen."

Dr. Kerrin Schillhorn, Fachanwältin für Verwaltungsrecht bei Zenk Rechtsanwälte in Köln, stellte rechtliche Aspekte der Verträge zur Integrierten Versorgung dar. Sowohl bei der Rechtsform als auch bei den Modelltypen sei dabei eine große Freiheit vorhanden. Organisationsformen seien der Einzelvertrag mit der Krankenkasse oder der Zusammenschluss mit anderen Leistungserbringern. Denkbar wäre z. B. ein Zusammenschluss mit einem Orthopäden, einem Krankenhaus mit Schwerpunkt Chirurgie und Orthopädie, einer Reha-Klinik und einem Physiotherapeuten. Die Leistungserbringer können dabei, müssen aber nicht rechtlich miteinander verbunden sein. Mögliche Kooperationsformen seien ein Verein des bürgerlichen Rechts, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) oder eine BGB-Gesellschaft. Stiftung, AG, OHG, KG sowie Partnerschaftsgesellschaften seien eher ungeeignet.

Ihr Fazit: "Welche Handlungsform gewählt wird, kommt auf das Konzept, die Beteiligten und die daraus resultierenden Bedürfnisse im Einzelfall an." Bei der vertraglichen Regelung mit der Krankenkasse sollte auf den Leistungsumfang der eigenen Tätigkeit sowie der anderen Leistungserbringer im System der Integrierten Versorgung, auf die Zusammenarbeit mit anderen Leistungserbringern, auf Wettbewerbs- bzw. Ausschließlichkeitsklauseln sowie Qualitätssicherung und Vergütung geachtet werden.

zuletzt bearbeitet: 05.05.2004 nach oben

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