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Gesundheitspolitische Relevanz des (unentdeckten) Diabetes

Professor Dr. med. Peter Bottermann, Pressesprecher und Ärztlicher Generalsekretär der und Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG), München

"Vorbeugen ist besser als Heilen!"

"Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß!"
"Bloß nicht untersuchen lassen; da könnte ja etwas gefunden werden"
Arzt: "Hat man denn früher bei Ihnen schon einmal einen erhöhten Blutzuckerwert festgestellt?" - Patient: "Nein, eigentlich nicht."
Der Erfahrene weiß dann sofort, dass die Antwort eigentlich nicht soviel wie ja bedeutet. "Na ja, neulich war der Blutzucker ein bisschen erhöht; aber ich spüre ja nichts, da muss ich doch wohl nichts tun."

Welche gesundheitspolitische Relevanz hat der (unentdeckte) Diabetes? Eigentlich müsste man ja aus kostentechnischer Sicht froh darüber sein, wenn sich ein Patient nicht sofort, sondern erst später in Behandlung begibt. Denn dann stellt er zunächst einmal keine Belastung des Gesundheitssystems dar. Es fallen weder ärztliche Behandlungskosten noch Kosten für Medikamente an. Diese Auffassung ist in zweierlei Hinsicht kurzsichtig.

Denn es ist heute weitgehend bekannt, dass die Stoffwechselstörung Diabetes zu Folgeerkrankungen wie Mikroangiopathie (Schädigungen der kleinen Gefäße; Kapillaren), Makroangiopathie (Schädigungen der großen Arterien; Arteriosklerose) und zur Neuropathie (Schädigungen des Nervensystems) führt.

Folgeerkrankungen der Makroangiopathie, also der Arteriosklerose sind, um nur die häufigsten zu nennen, die koronare Herzkrankheit und der Herzinfarkt, der Schlaganfall und die periphere arterielle Verschlusskrankheit. Diese Erkrankungen sind die großen Kostenverursacher im Gesundheitswesen im Gefolge des Diabetes. Je länger ein Diabetes unbemerkt bleibt - 40 bis 60 % der Typ-2-Diabetiker, die die Masse (ca. 95%) der Diabetiker ausmachen, haben keine spezifischen Symptome und werden zufällig entdeckt - und je schlechter ein einmal entdeckter Diabetes behandelt wird, desto häufiger wird man sich mit den Folgeerkrankungen des Diabetes befassen müssen.

Je früher ein manifester Diabetes entdeckt wird, desto größer sind die Chancen, ökonomisch belastende Folgeschäden zu vermeiden oder wenigstens hinauszuzögern. Das bedingt allerdings eine konsequente Behandlung mit möglichst guter Einstellung des Diabetes.

Dass hier Fehlentwicklungen unter dem Aspekt vordergründiger Kosteneinsparungen zu befürchten sind - siehe Entwurf der Positivliste -, ist bekannt. Die Deutsche Diabetes-Gesellschaft ist bemüht darzustellen, wie heute eine Diabetesbehandlung auszusehen hat. Sie hat vor mehreren Jahren eine Leitlinienkommission ins Leben gerufen, die von Herrn Prof. Scherbaum geleitet wird.

Diese Leitlinien sind keine sogenannten Consensus-Leitlinien, in denen die Kenntnisse und Erfahrungen führender Fachkapazitäten als Leitfäden zusammengestellt werden, sondern sogenannte evidenzbasierte Leitlinien, denen nach umfangreicher Sichtung und Bewertung der Literatur gesichertes und nach bestimmten Kriterien eingeordnetes, in Evidenzgraden unterteiltes Wissen zugrunde liegt.

Bereits die UKPDS (United Kingdom Prospective Diabetes Study) hat in Modellrechnungen gezeigt, dass ein "intensiv" behandelter Patient nicht mehr Kosten verursacht als ein "konventionell" behandelter Patient. Es trat bei "intensiver" Behandlung lediglich eine Umschichtung der Kosten bei gleichzeitig höherer Effizienz und besserem Behandlungserfolg ein.

Abschließend sei noch kurz auf den unentdeckten Diabetes eingegangen. Im klinischen Alltag erlebt man immer wieder (leider noch) Patienten, die wegen Folgeerkrankungen eingewiesen werden und bei denen erst bei dieser Gelegenheit der Diabetes entdeckt wird.

Präventive Bemühungen laufen heute daher nicht nur darauf hinaus (siehe Rathmann und Scherbaum in dieser Pressekonferenz), einen bereits bestehenden Diabetes möglichst früh zu entdecken, sondern auch bereits die Vorstadien (gestörte Glukosetoleranz sive latenter sive subklinischer sive "suspected" Diabetes) des Diabetes zu erfassen, um ein Fortschreiten zur Manifestation zu verhindern oder wenigstens zu verzögern.

Bereits im Stadium der gestörten Glukosetoleranz besteht ein erhöhtes Risiko, eine Makroangiopathie mit deren Folgen zu entwickeln. Auch die gestörte Glukosetoleranz ist daher bereits als eine Krankheit und nicht nur als das Vorstadium einer Krankheit anzusehen!

Es gibt inzwischen eindeutige Daten, die zeigen, dass ein Fortschreiten vom Stadium der gestörten Glukosetoleranz zum manifesten Diabetes durch "life style" Änderungen und / oder Medikamente sehr effizient zu verhindern ist.

"Vorbeugen ist besser als Heilen"

Da es bis heute keine Heilung des Diabetes gibt, sondern der Diabetes den Patienten lebenslang begleitet, ist es ärztliche Aufgabe, dafür zu sorgen, dass der Diabetes ein Begleiter des Lebensweges bleibt und nicht zu einem Bestimmer wird. Noch besser ist es, dafür zu sorgen, dass sich kein Begleiter, den man dann nicht mehr los wird, einstellen kann, d. h. dass man es bereits nicht mehr zum Stadium der gestörten Glukosetoleranz kommen lässt. Gesundheitsökonomisch ist dies der wohl einzig mögliche Ausweg aus dem derzeit bestehenden Dilemma.

zuletzt bearbeitet: 06.04.2003 nach oben

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