Home > Diabetes im Alltag > Diab-Stories > Diabetes - mein ungewollter Begleiter
Diabetes - mein ungewollter Begleiter
Bis heute ist der Diabetes mellitus nicht heilbar. Er begleitet Diabetiker/innen in jeder Lebenssituation. Mit der chronischen Stoffwechselerkrankung erleben sie viele Geschichten. Die meisten Erlebnisse werden schnell vergessen, nicht aber der Tag der Diagnose. In das Leben von Peter Albrecht schlich sich der Diabetes lange vor der eigenen Erkrankung ein. Für das Diabetes-Portal DiabSite berichtet er von seinem Vater, der an Folgeerkrankungen litt, seinem an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankten Bruder und den Vorsorgemaßnahmen, die er selbst ergriffen hat, um die eigene Erkrankung frühzeitig zu erkennen.
Im Jahre 1955 hat sich der Diabetes in unsere Familie eingeschlichen. Es war an dem Tag, als mein Vater vom Fahrrad fiel. Von da an bestimmte der Diabetes unser Familienleben: Zum Frühstück gab es Haferschleim, den auch ich aus Sympathie geschlabbert habe. Anschließend erhielt ich Vaters Morgenurin mit auf den Schulweg, um ihn beim Hausarzt abzugeben. Mittags holte unsere Mutter das Testergebnis mit den Kostplänen beim Arzt ab. Nun ja, eine große Einschränkung bedeutete das nicht wirklich, denn zu dieser Zeit war bei uns sowieso noch "Schmalhans" Küchenmeister.
Die körperliche Verfassung unseres Vaters verschlechterte sich rapide. Am schlimmsten war es für ihn, als dann noch beidseitig der graue Star auftrat. Bei den folgenden Staroperationen wurden Dreiecke - ähnlich wie Tortenstücke - aus den Pupillen geschnitten. Der Vater bekam eine sogenannte "Starbrille", deren Gläser wie große Lupen aussahen. Doch selbst damit konnte er sich nur vorwärtstastend fortbewegen. Als sein Herz schließlich das dicke Blut nicht mehr pumpen konnte, hat er uns endgültig verlassen.
Schon bald danach ereilte unsere Familie der nächste Schicksalsschlag. Auf der Heimfahrt von seinem Urlaub schlief mein Bruder am Steuer ein und fuhr mit dem Auto in den Graben. Seine Ehefrau, eine Arzthelferin, betreute ihn von da ab. Vielleicht hatte sie es ja gut gemeint, doch die intensive Versorgung mit Essen und klarem Schnaps änderte nichts daran, dass er schließlich an Bauchspeicheldrüsenkrebs verstarb.
Diabetes war ein Schreckgespenst für mich und da ich eine junge Familie hatte, ging ich vorsorglich jährlich zum Augenarzt. Ich wollte Gewissheit haben, dass der Diabetes noch nicht von mir Besitz ergriffen hat. Aber eines Tages musste mir der Augenarzt dann doch mitteilen, dass der Diabetes sich bemerkbar macht.
Umgehend berichtete ich meinem Hausarzt von dem Ergebnis der augenärztlichen Untersuchung. Doch er hatte überhaupt kein Verständnis für meine Sorgen. Etwa sechs Monate später erlitt ich an meinem Arbeitsplatz einen Schwächeanfall. Meinem "Onkel Doktor" fiel dazu jedoch nichts Besseres ein, als mir ein Medikament mit Sulfonylharnstoff zu verordnen. Dies führte zu Unterzuckerungen und Gewichtszunahme.
Durch Zufall erfuhr ich von einem Diabetes Workshop. Dort traf ich hilfsbereite Menschen und wurde über die damals moderne Diabetesbehandlung informiert. Eine Diabetesberaterin vermittelte mir einen Krankenhausaufenthalt zur Insulineinstellung. Das war mein Einstieg in ein neues Leben!
In den kommenden Jahren erarbeitete ich mir die intensivierte Insulineinstellung selbst und war immer bestrebt, die bestmögliche Therapie zu erhalten. Ich wollte allen beweisen, dass ich trotz Diabetes leistungsfähig bin, denn ich hatte einen Vorgesetzten, der die Meinung vertrat: "Den Albrecht, diesen immermüden Zuckersack, müssen wir loswerden und in den frühzeitigen Ruhestand schicken". Zu dieser psychischen Belastung kam die schwere Erkrankung meiner Ehefrau, die ich 40 Jahre lang versorgen und betreuen durfte.
Indem ich diesen störrischen Diabetes bei den Hörnern nahm und von Referenten in der Selbsthilfegruppe unterstützt wurde, habe ich alle Mobbing-Spezialisten bis zu meinem planmäßigen Ruhestand überstanden. Heute sitze ich entspannt in einem Caritas Seniorendomizil in meinem Großvatersessel und schaue gelassen in die Zukunft, bis ich in das Fegefeuer abberufen werde.
Peter Albrecht
Diabetiker und langjähriger Leiter einer Selbsthilfegruppe
zuletzt bearbeitet: 25.04.2021
Bildunterschrift: Peter Albrecht.
Bildquelle: privat
Die DiabSite-Redaktion dankt Hern Albrecht ganz herzlich für seine Diab-Story und die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung!