Prinzipien der Health On the Net Foundation.
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Praxisgebühr verfassungsrechtlich bedenklich
Auch wenn das Sozialgericht Berlin Mitte Februar den Antrag
eines Arztes, die Praxisgebühr nicht erheben zu müssen, zurückgewiesen hat: Verfassungsrechtlich ist
die Regelung damit noch keineswegs über den Berg, wenn auch das Bundesgesundheitsministerium den
Gerichtsbeschluss umgehend als vorbehaltlose Bestätigung der Verfassungsmäßigkeit interpretierte.
In der aktuellen Ausgabe der "Neuen Zeitschrift für Sozialrecht" (Heft 4 2004,
Seite 186 ff.) kommt der Bonner Jurist Dr. Tobias Linke zu einer ganz anderen
Einschätzung: Die Praxisgebühr verletze in ihrer jetzigen Form die Berufsfreiheit der Ärzte
und lasse grundrechtlich gebotene Härtefallregelungen vermissen.
Die Praxisgebühr von 10 Euro pro Quartal wird vom Arzt eingezogen und voll auf den Betrag angerechnet,
den er durch die Kassenärztliche Vereinigung (KV) von den Krankenkassen für seine Behandlungsleistungen
erhält. "So wie das Gesetz konstruiert ist, tragen die Ärzte den gesamten Verwaltungsaufwand und
darüber hinaus möglicherweise sogar noch das volle Vollstreckungsrisiko", erklärt Linke. Sprich:
Wenn sie die Gebühr nicht eintreiben können, bleiben sie auf dem Fehlbetrag hängen. Momentan suchen
Krankenkassen, KV und die Medizinerzunft nach Kompromissen, in welchen Fällen die Ärzte die
Eintreibung der Gebühr den KV oder den Krankenkassen überlassen dürfen.
Der Bundesmantelvertrag-Ärzte sieht in der Fassung vom 10. Dezember 2003 vor, dass der Arzt
säumige Patienten mahnen und ihnen eine Zahlungsfrist setzen muss. Nach Ablauf dieser Frist
übernimmt dann die KV die weitere Vollstreckung auf Kosten der Krankenkasse. Dieser Kompromiss genügt
vielen Medizinern aber nicht, zumal sie die Kosten für Arbeitskräfte, Computerprogramme und die
Erteilung der Quittungen im Normalfall ohne Aufwandsentschädigung zu tragen hätten. Nach der
Einschätzung von Experten können diese Aufwendungen im ungünstigsten Fall mehr als zwei Euro pro
Quartal und Patient ausmachen.
"Die Ärzte werden durch das Gesetz dazu verdonnert, ohne finanziellen Ausgleich Verwaltungsaufgaben
der Kassen oder KV wahrzunehmen", erklärt Dr. Linke. Eine solche "Indienstnahme"
Privater zu Verwaltungszwecken muss mit deren Grundrecht der Berufsfreiheit vereinbar sein. "Die
Praxisgebühr verletzt aber in ihrer jetzigen Form den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit", so der
Bonner Verfassungsrechtler. Denn mit der Möglichkeit, die Praxisgebühr direkt durch die KV oder die
Krankenkassen erheben zu lassen, habe eine wirksamere und zugleich weniger aufwändige Alternative
bestanden, die der Gesetzgeber nicht berücksichtigt habe. Schon heute treiben die Krankenkassen die
Beiträge der freiwillig Versicherten ein; außerdem haben sie viel weiter reichende Möglichkeiten,
Ansprüche gegenüber säumigen Zahlern durchzusetzen.
Im Gegensatz dazu kommt auf den Kassenarzt mit der Praxisgebühr eine völlig neue Aufgabe zu, für
die er erst einmal Sach- und Personalmittel zur Verfügung stellen muss. "Darin unterscheidet
sich seine Situation auch wesentlich von der eines Apothekers", so Linke: Der muss zwar seit
einigen Jahren ebenfalls Zuzahlungen für Medikamente kassieren, verfügt aber über ausreichendes
"Verkaufspersonal", weil er tagtäglich ohnehin von seinen Privatpatienten sowie durch sein
"Beiprogramm" aus Hustenbonbons, Blasentees und frei verkäuflichen Arzneien größere
Summen Bargeld einnimmt.
Darüber hinaus kritisiert der Jurist die fehlenden Härtefallregelungen: "Eine gut gehende
Gemeinschaftspraxis in wohl situierter Innenstadtlage wird bei der Einziehung der Praxisgebühr
deutlich weniger Probleme und finanziellen Aufwand haben als ein überlasteter Einzelarzt in einem
ärmeren Viertel, dessen Patienten häufig nicht direkt zahlen können oder wollen." Dass das
Gesetz für den unterschiedlichen Aufwand keinen Ausgleich vorsieht, erscheint Linke
"gleichheitsrechtlich keineswegs unangreifbar".
Sein Fazit: "Nach meiner Überzeugung ist das letzte Wort über die Praxisgebühr noch nicht
gesprochen" - allerdings nur in Hinsicht auf die Ärzteschaft: Rechte der gesetzlich
Versicherten würden durch die neue Regelung nicht verletzt, Verfassungsbeschwerden von Versicherten
gegen die Praxisgebühr seien daher wohl aussichtslos.
Pressemitteilung: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität
Bonn
Diese Pressemitteilung wurde über den - idw - versandt.
28.04.2004
Archiv 2004
- Nachrichten zur Gesundheitspolitik
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