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Plädoyer für die Forschung zu Diabetes - Teil 2

vom: Diabetesinformationsdienst München

Prof. Dr. Anette-G. Ziegler Prof. Dr. A.-G. Ziegler resümiert die Forschungserfolge der vergangenen Jahre insbesondere im Hinblick auf die frühe Diagnose des Typ-1-Diabetes. Die renommierte Diabetesforscherin und Direktorin des Instituts für Diabetesforschung am Helmholtz Zentrum München blickt optimistisch in eine Zukunft mit noch besseren und individuelleren Therapieoptionen und der berechtigten Hoffnung auf Vorbeugung oder sogar Heilung.

Am 28. Mai beginnt in Berlin der Jubiläumskongress, mit dem die Deutsche Diabetes Gesellschaft ihr 50jähriges Bestehen begeht. Im Vorfeld hat der Diabetesinformationsdienst München mit der Präsidentin des Kongresses, Prof. Dr. Anette-Gabriele Ziegler gesprochen.

Mögliche Ursachen von Diabetes

Diabetesinformationsdienst München:
Was weiß man heute über die Ursachen für die Entstehung des Typ-1-Diabetes?
Ziegler:
Es spricht Vieles dafür, dass neben den Genen auch Umweltfaktoren eine wesentliche Rolle bei der Entstehung der Antikörper, also der Entwicklung der Autoimmunerkrankung, spielen. Viele Jahre dachte man, dass es sich um eine Infektionskrankheit handelt. Mittlerweile weiß man, dass man nach mehreren Ursachen suchen muss. Denn es sind viele einzelne Faktoren, welche die Empfänglichkeit für die Erkrankung erhöhen. Man muss sich vorstellen, dass auch bei gesunden Menschen immer wieder Zellen sich in selbstzerstörerische Formen umwandeln, der gesunde Körper aber in der Lage ist, diese Zellen außer Kraft zu setzen. Erst wenn eine Schwelle überschritten ist, und dieses Außerkraftsetzen nicht mehr funktioniert, oder so viele Zellen entgleisen, bricht die Krankheit aus.
Diabetesinformationsdienst München:
Welche Rolle spielt dabei das Vitamin D?
Ziegler:

Wir denken, dass unter anderem zum Beispiel ein Vitamin D-Mangel die Schwelle heruntersetzen könnte, oberhalb derer der Typ-1-Diabetes entsteht. Denn das Vitamin ist ein wichtiger Regulator in der Immunantwort. Entsprechend kann bei einem Mangel an Vitamin D diese Regulation nicht mehr ausreichend funktionieren, die Empfänglichkeit für die Autoimmunerkrankung wird erhöht.

Bis zum 18. Lebensjahr wird deshalb in Finnland Kindern und Jugendlichen zusätzliches Vitamin D gegeben, in Deutschland ist das ja bislang nur für das 1. Lebensjahr festgelegt.

Diabetesinformationsdienst München:
Eine weitere Ursache sind womöglich Atemwegsinfektionen in der Kindheit?
Ziegler:

Auf Basis von Befragungen haben wir im Rahmen unserer BABYDIET-Studie einen ersten epidemiologischen Zusammenhang zwischen Atemwegsinfektionen und der Entstehung von Typ-1-Diabetes festgestellt. In einer anderen Studie haben wir bislang vergeblich gehofft, im Blut der Studienteilnehmer die dafür verantwortlichen Viren zu finden. Das könnte aber auch daran gelegen haben, dass wir bislang nur zu einem einzigen Zeitpunkt vor Ausbruch der Erkrankung danach suchen konnten. Die BABYDIET-Daten sagen uns allerdings, dass es nicht so sehr einen Zusammenhang mit Infektionen direkt vor Krankheitsbeginn, sondern mit Infektionen im ersten Lebensjahr geben könnte.

Das Problem ist, dass die Sequenzierung aus dem Blut sehr teuer ist, sodass man nicht schnell einfach 1.000 Proben durchlaufen lassen kann. Immerhin untersuchen wir 8.000 Kinder seit ihrer Geburt laufend nach, inzwischen sind etwa 500 davon antikörperpositiv, 150 haben schon einen Typ-1-Diabetes entwickelt.

Diabetesinformationsdienst München:
Welche Rolle spielen Bakterien im Verdauungstrakt bei der Entstehung von Typ-1-Diabetes?
Ziegler:

Eine wichtige Rolle, aber wohl wie das Vitamin D auch als Faktor zur Erhöhung der Empfänglichkeit. Darmbakterien beeinflussen ja sehr die Entwicklung des Immunsystems und die Immunantwort im Körper. Sie sind ja mit die ersten Fremdkörper, mit denen das Neugeborene nach der Geburt in seinem bislang sterilen Milieu konfrontiert wird. Dadurch stimulieren sie das reifende Immunsystem. Wenn dies beispielsweise eine zu einseitige Besiedelung ist, könnte die Entwicklung des Immunsystems ebenfalls eingeschränkt bleiben und damit die Empfänglichkeit für Krankheiten wie Typ-1-Diabetes erhöht werden.

Wir haben bei der Untersuchung des Darmmikrobioms von kleinen Kindern zudem festgestellt, dass nicht eine Bakteriengruppe mit der Entwicklung von Inselautoimmunität und Typ-1-Diabetes assoziiert war, sondern vielmehr die Vernetzung und die Komplexität der Bakterien bei den Erkrankten reduziert waren. Das spricht dafür, dass das Mikrobiom zu simpel war.

Diabetesinformationsdienst München:
Stillen schützt ja wohl vor der Entstehung von Typ-2-Diabetes, wie aktuelle Studien gerade wieder bestätigt haben. Wie ist das mit Typ-1-Diabetes?
Ziegler:
Die Ergebnisse sprechen dafür, dass es eine Rolle spielt, wann bei Babies feste Nahrung eingeführt wird. Stillen ist dabei wohl nicht das Entscheidende, denn auch Babies, die lang genug Milchersatznahrung erhielten, hatten ein vergleichsweise geringeres Diabetesrisiko. Aber der Zeitpunkt der Einführung fester Nahrung ist wohl wichtig. Wenn der Darm noch zu unreif ist, und zu früh einseitige Stimuli gegeben werden, könnte das zu Immunantworten führen.
Diabetesinformationsdienst München:
Ist auch eine Kaiserschnittgeburt ein möglicher Risikofaktor?
Ziegler:

Ja, auch das ist ein weiterer Faktor, der uns bestätigt, dass nach den Genen, die die erste Basis für die Empfänglichkeit setzen, insbesondere die frühen Einflussfaktoren von großer Bedeutung sind - so wie Ernährung und Infektionen im ersten Lebensjahr. Das scheint ein wichtiger Zeitraum in der Empfänglichkeit für Autoimmunerkrankungen zu sein, dafür spricht auch der Piek für den ersten Antikörpernachweis im Alter von zwei Jahren.

Beim Kaiserschnitt haben wir auch eine eindeutige Interaktion zwischen Genen und Umwelt erkannt. Wenn man Träger bestimmter Gene ist, dann ist Kaiserschnitt ein besonders relevanter Risikofaktor.

Das sind aber bei Typ-1-Diabetes völlig andere Gene als bei Typ-2-Diabetes, was auch dafür spricht, dass es sich wirklich um zwei völlig unterschiedliche Krankheitsbilder handelt. Natürlich kann man theoretisch beide Gene haben.

Diabetesinformationsdienst München:
Stimmt es, dass das genetische Risiko bei Typ-1-Diabetes nicht so hoch ist wie bei Typ-2-Diabetes?
Ziegler:
Nein im Gegenteil: Bei Typ-1-Diabetes ist das genetische Risiko definitiv höher. Das kann man auch an der familiären Belastung sehen: Die Häufigkeit von Typ-1-Diabetes liegt ja bei etwa 0,4 Prozent. Wenn Sie bestimmte Gene bzw. einen Verwandten mit Typ-1-Diabetes haben, erhöht sich das Risiko auf 5 Prozent, also um das über Zehnfache. Typ-2-Diabetes ist dagegen zwar mit 6 Prozent sehr viel häufiger. Hat ein Patient mit Typ-2-Diabetes Kinder oder Geschwister, so liegt dass Risiko der Kinder und Geschwister bei 30-40 Prozent, also nur um das Sechsfache höher. Durch Gene kann man das Risiko eines Typ-2-Diabetes schlecht vorhersagen.
Diabetesinformationsdienst München:
Aber das war ja nicht immer so …
Ziegler:
Nein, vor 50 Jahren war die Häufigkeit von Typ-2-Diabetes gerade mal 0,6 Prozent! Nur etwa doppelt so hoch wie Typ-1-Diabetes! Daher stand dieser auch viel mehr im Vordergrund der Forschung, Könnte man also das Rad zurückdrehen, gäbe es das epidemieartige Ausmaß von Typ-2-Diabetes gar nicht.

Weiter zu Therapieansätze gestern und heute - Teil 3 des Interviews.

zuletzt bearbeitet: 27.05.2014 nach oben

Das Gespräch mit Frau Prof. Dr. Ziegler führte
Ulrike Koller, Diabetesinformationsdienst München.

Quellen

Bildunterschrift: Prof. Dr. Anette-Gabriele Ziegler
Text- und Bildquelle: Diabetesinformationsdienst München

Wir danken dem Diabetesinformationsdienst München und Frau Koller für die freundliche Publikationsgenehmigung!

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