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Passt der Diabetes in den Reisekoffer?

Das Diabetes-Portal DiabSite im Gespräch mit Dr. Susanne von Bültzingslöwen

Dr. Susanne von Bültzingslöwen Frau Dr. Susanne von Bültzingslöwen kam vor 12 Jahren zur Diabetologie, weil sie unbedingt Ärztin an einer bestimmten Klinik werden wollte. Voraussetzung war aber, sich der Behandlung des Diabetes mellitus zu verschreiben. Trotz anfänglicher Bedenken nahm sie die Stelle an und hat es nie bereut. Schon erkennt von Bültzingslöwen, wie vielseitig und spannend dieses "Stiefkind der Medizin" doch ist. Heute leitet die "besessene" Diabetologin eine diabetologische Schwerpunktpraxis im Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg.
Auch Diabetiker plagt in der Urlaubszeit manchmal das Fernweh. Wenn der Urlaub naht, möchten sie raus aus dem Alltag. Was Menschen mit Diabetes bei Reisen berücksichtigen sollten, erläutert Frau Dr. von Bültzingslöwen im Exklusiv-Interview mit dem Diabetes-Portal DiabSite.

DiabSite:
Ob Sommer- oder Winterurlaub, der Diabetes fährt immer mit. Frau Dr. von Bültzingslöwen, wer hat bei der Urlaubsvorbereitung mehr zu bedenken, der Typ-1- oder der Typ-2-Diabetiker?
von Bültzingslöwen:
Das würde ich gar nicht so unterteilen, sondern von der Therapieart abhängig machen. Es hat der mehr zu bedenken, der eine Mehr-Spritzen-Therapie oder eine intensivierte Therapie macht, der Selbstkontrolle betreibt und der sozusagen sein Insulin selbst dosiert. Der hat viel mehr zu bedenken als jemand, der morgens eine Tablette schluckt. Das sind natürlich schon im Allgemeinen die Typ-1-Diabetiker, die insulinpflichtig sind. Aber wir tendieren ja zunehmend auch dazu, den früh manifestierten Typ-2-Diabetiker mit einer intensivierten Therapie annähernd normoglykämisch einzustellen. Diese haben dann natürlich genauso viel zu bedenken.
DiabSite:
Diabetiker sollten sich schon früh auf ihre Urlaubsreise vorbereiten. Für manche Reiseländer sind Impfungen erforderlich. Gibt es diesbezüglich Unverträglichkeiten mit dem Diabetes?
von Bültzingslöwen:
Nein, die diabeteserkrankten Urlauber sollten sich genauso impfen lassen, wie alle Nicht-Diabetiker auch.
DiabSite:
Sind bei der Auswahl des Reiseziels oder bereits bei der Buchung eines möglicherweise langen Fluges für Diabetiker zusätzliche Vorüberlegungen angebracht?
von Bültzingslöwen:
Ja, er sollte sich natürlich schon überlegen, ob seine gegenwärtige Stoffwechselqualität mit der geplanten Reise vereinbar ist. Jemand, der sehr instabil ist, sollte möglichst nicht in Länder fahren, die keine Möglichkeit bieten, sich Hilfe zu besorgen. Also nicht unbedingt mitten in den Busch, mit einem HbA1c von 12 % und einer frischen Ketoacidose. Gut geschulte, stabil eingestellte Patienten haben sicherlich keine Einschränkungen in der Wahl ihres Urlaubsortes. Auch längere Flugreisen sind mit einer guten Schulung bedenkenlos zu überbrücken.
DiabSite:
Ist es ratsam, dem Reisebüro mitzuteilen, dass eine Diabeteserkrankung vorliegt?
von Bültzingslöwen:
Das ist sicherlich ein guter Tipp, denn wir haben die Erfahrung gemacht, dass in den Flugzeugen leider sehr oft ungesundes und fettes Essen angeboten wird. Es ist sinnvoll diabetische oder vegetarische Kost vorzubestellen.
DiabSite:
Frau Dr. von Bültzingslöwen, kommen wir nun zum Reiseantritt. Was sagt der Zoll, wenn insulinpflichtige Diabetiker mit ihrem gesamten Spritzbesteck ankommen, und wie transportiere ich das Insulin und die Teststreifen?
von Bültzingslöwen:
Das muss nicht immer ganz unproblematisch ablaufen. Da würde ich schon raten, sich beispielsweise über den DDB, einen internationalen (mehrsprachigen) Diabetikerausweis zu besorgen. Aus diesem geht eindeutig hervor, dass man Diabetiker ist und spritzen muss. Sonst haben mir Patienten auch schon erzählt, dass sie irgendwo als "Fixer" erst einmal im Polizeistübchen gelandet sind. Das habe ich tatsächlich schon aus erster Hand gehört. Man sollte sich entsprechend vorbereiten und eine Bescheinigung bei sich haben - und die auch wirklich bei sich haben. Nicht, dass man sich vor fünf Jahren schon einmal einen Ausweis besorgt hat, der dann zuhause liegt. Das würde ich dringend empfehlen.
DiabSite:
Ist der internationale Diabetikerausweis auch für Typ-2-Diabetiker wichtig?
von Bültzingslöwen:
Auf alle Fälle, denn auch sie können bei einer Unterzuckerung auf Fremdhilfe angewiesen sein. Außerdem ist ja immer auch ein normaler Unfall denkbar, und die hinzueilenden Ärzte müssen dann wissen, dass sie einen Diabetespatienten vor sich haben.
DiabSite:
Wen sollte ich im Flugzeug informieren, dass ich Diabetes habe, oder ist das überhaupt erforderlich?
von Bültzingslöwen:
Das hängt ein bisschen davon ab, ob man allein oder in Begleitung fliegt. Diejenigen, die mit einem Partner reisen, der auch weiß, wie er sich bei Stoffwechselentgleisungen zu verhalten hat, brauchen die Stewardess nicht zu informieren. Ist man allerdings ganz alleine unterwegs, sollte man der Stewardess sagen, wie sie sich ggf. verhalten kann.
DiabSite:
Wo sollte ich die Medikamente im Gepäck verstauen, die ja teilweise temperaturempfindlich sind?
von Bültzingslöwen:
Ich empfehle, die Medikamente auf jeden Fall im Handgepäck mitzunehmen, damit sie auch ganz sicher mit Ihnen am Zielort ankommen. Ferner rate ich, wenn man beispielsweise zu zweit reist, die Teststreifen und die Tabletten bzw. das Insulin auf das Handgepäck zu verteilen. Dann stehen Sie auch im Falle eines Diebstahls nicht ganz ohne die wichtigsten Dinge da. Eine Kühlung des Insulins ist während des Fluges nicht erforderlich. Sie sollten es aber bitte niemals in den Koffer tun, da im Gepäckraum des Flugzeuges sehr hohe Minusgrade herrschen (nur noch bei alten Maschinen, Anm. d. Red.), die vom Insulin nicht vertragen werden. Das Messgerät selbst muss natürlich immer zur Hand sein. Ob es jetzt sinnvoll ist, ein zweites Messgerät mitzunehmen, sei dahingestellt. Ich verordne meinen Patienten, die weit reisen und nur ein Gerät besitzen, zusätzlich visuell ablesbare Teststreifen. Das gibt eine gewisse Sicherheit, wenn das Gerät ausfallen sollte.
DiabSite:
Sollten Diabetiker immer Reiseproviant mitnehmen?
von Bültzingslöwen:
Ja. Gerade Patienten, die vielleicht etwas unsicher sind oder als Diabetiker zum ersten Mal verreisen, tun gut daran, eine Mahlzeit mitzunehmen, von der sie wissen wie viele BEs enthalten sind. Das macht einfach ruhiger und sicherer. Man weiß ja auch nicht, was einen am Zielort erwartet, ob man da gleich einkaufen kann oder im Hotel versorgt wird.
DiabSite:
Wie kann und soll der Diabetiker mit großen Zeitverschiebungen umgehen?
von Bültzingslöwen:
Zeitverschiebungen bis zu sechs Stunden können gut mit einer zusätzlichen Gabe von Normalinsulin oder einem Snack überbrückt werden. Man muss sich darüber klar werden, ob man von der Sonne weg fliegt oder der Sonne entgegen. Fliegt man ihr entgegen, wird der Tag kürzer, fliegt man von der Sonne weg, wird er länger. Gehen wir einmal von einer achtstündigen Zeitverschiebung aus. 24 Stunden hat ein Tag - dann wird der Tag um ein Drittel länger bzw. kürzer. Entsprechend wird ein Drittel Basalinsulin mehr oder weniger benötigt. Das ist so eine Faustregel. Tablettenpflichtige Diabetiker sollten in diesen Fällen einfach die Uhr umstellen und "Augen zu und durch". Etwas häufiger messen, schadet in keinem Fall. Hundertprozentig läuft es im Urlaub sowieso nie. Es gibt so viele Fremdeinflüsse: die andere Kost, das andere Klima, die bessere Laune oder auch der Ärger, das führt immer zu gewissen Schwankungen. Das sollte man dann aber auch gelassen sehen.
DiabSite:
Viele Urlauber zieht es sowohl im Sommer als auch im Winter in warme Länder. Wie wirken sich hohe Temperaturen auf den Insulinbedarf aus?
von Bültzingslöwen:
Dafür gibt es keine allgemeingültigen Regeln. Oft haben wir jedoch die Erfahrung gemacht: Je wärmer es ist, desto schneller wirkt das Insulin, manchmal sinkt auch der Insulinbedarf. Das muss aber nicht immer so sein. Da muss jeder seine persönlichen Erfahrungen machen und ruhig häufiger den Blutzucker testen.
DiabSite:
Frau Dr. von Bültzingslöwen, Insulin soll ja eigentlich im Kühlschrank bei 2 bis 8° C gelagert werden. Nun lockt aber der Strand. Was mache ich während des Sonnenbades mit dem Insulin, d. h. dem Pen oder der Pumpe?
von Bültzingslöwen:
Insulin sollte man nicht der direkten Sonneneinstrahlung aussetzen. Wenn Sie länger am Strand bleiben und dort auch etwas essen wollen, sollten Sie das Insulin nach Möglichkeit in einer Kühlbox aufbewahren. Für ein kurzes Sonnenbad sollte die Pumpe nicht mitgeröstet sondern abgelegt werden. Vor dem Sonnenbad noch einmal den Blutzucker messen, und wenn es ratsam erscheint, nimmt man einen Pen mit. Auch beim Baden oder Schwimmen wird Energie verbraucht, weshalb ich die Pumpe dafür in den meisten Fällen eher ablegen würde.
DiabSite:
Der Winter- oder Skiurlaub ist in aller Regel ein Aktivurlaub. Was raten Sie dem Diabetiker auf der Piste?
von Bültzingslöwen:
Pumpenpatienten sollten die erhöhte körperliche Belastung über die Basalratenregulierung ausgleichen. Wenn man also den ganzen Tag Ski läuft, kann die Basalrate je nach Empfindlichkeit vorübergehend auf 70 oder gar 50 Prozent abgesenkt werden. Zudem sollten immer kleinere Snacks mitgeführt werden. Einen ganzen Tag auf der Skipiste ohne Messen und Essen ist sicherlich schlecht.
DiabSite:
Wie vertragen Insulin und Teststreifen große Kälte?
von Bültzingslöwen:
Das Insulin friert nicht so leicht. Zudem wird die Pumpe ohnehin am Körper getragen. Bei der konventionellen Therapie sollte man darauf achten, dass der Pen auch körpernah mitgeführt wird. Die Messgeräte können bei großer Höhe und Kälte schon mal ein Problem haben. Sie sollten daher möglichst im Skianzug getragen werden, zumal sie dort auch bei einem möglichen Sturz relativ geschützt sind.
DiabSite:
Fremde Länder, fremde Sitten, oft auch fremde Speisen. Wobei verschätzen sich Diabetiker am häufigsten?
von Bültzingslöwen:
Weißbrot in Frankreich wird oft unterschätzt, was den Gehalt und die schnelle Resorption der Kohlenhydrate betrifft. Die richtige Berechnung von Reis im asiatischen Raum ist auch oft schwierig. Es gibt ja ca. 40 verschiedene Reissorten, die durch unterschiedliche Zubereitung oft einen sehr unterschiedlichen Stärkegehalt aufweisen. Je länger ein Reis gekocht wird, umso mehr Kohlenhydrate enthält er. Dies wird jedoch teilweise dadurch wieder aufgehoben, dass man in asiatischen Ländern oft mehr Gemüse isst, was den Blutzuckeranstieg verlangsamt.
DiabSite:
Nun haben wir viel zu den insulinpflichtigen Diabetikern gesagt. Was gilt aber ganz besonders für Diabetiker, die mit Tabletten eingestellt sind?
von Bültzingslöwen:
Hier ist besonders die unterschiedliche körperliche Belastung zu berücksichtigen. Wenn diese in den Wanderurlaub gehen, müssen sie über den Tag verteilt regelmäßig Mahlzeiten und Snacks zu sich nehmen. Ferner sollte der Blutzucker häufig gemessen werden. Wenn man ansonsten eher im Büro sitzt oder untrainiert ist, und nun im Urlaub einen Zweitausender erklimmt oder zwei Stunden Tennis spielt, dann wird man das am Blutzuckerverlauf merken. Ich empfehle, wenn eine kurzzeitige Körperbelastung ansteht, ein bis zwei schnelle BEs zu essen. Wenn man aber lange unterwegs ist, zum Beispiel beim Wandern, Fahrradfahren oder Skilanglauf, dann ist ein sehr gemischtes, reichhaltiges Frühstück mit schnellen und langsamen BEs (beispielsweise Saft und helle Brötchen, aber auch Müsli und dunkles Brot) sinnvoll. Auf jeden Fall sollten zusätzlich Traubenzucker und Zwischenmahlzeiten mitgenommen werden. Insgesamt gilt aber, dass man den Urlaub einfach genießen sollte, und Gelassenheit walten lassen kann, wenn der Stoffwechsel dann mal nicht perfekt läuft.
DiabSite:
Frau Dr. von Bültzingslöwen, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Autor: hu; zuletzt bearbeitet: 13.10.2000 nach oben

Bildunterschrift: Dr. Susanne von Bültzingslöwen
Bildquelle: privat

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