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Ist der Diabetes mellitus wirklich heilbar?

Das Diabetes-Portal DiabSite im Gespräch mit Prof. Dr. Dr. Hans-Peter Meißner

Prof. Dr. Dr. Hans-Peter MeißnerProf. Dr. Dr. Hans-Peter Meißner, Diabetologe DDG, widmet sich seit über 30 Jahren der Diabetologie. Als leitender Oberarzt der Abteilung Innere Medizin an der Universität des Saarlandes in Homburg/Saar erforschte er insbesondere den Mechanismus der Insulinsekretion. 1977 habilitiert, lässt Meißner sich Anfang 1986 in Berlin nieder. Da sein Hauptaugenmerk von Anfang an dem Diabetes mellitus galt, war seine Praxis de facto schon eine diabetologische Schwerpunktpraxis bevor dieser Begriff aufkam.
Medien berichten derzeit, der Diabetes sei besiegt. Die Frage, ob die Hoffnungen der Diabetiker auf baldige Heilung berechtigt sind, beantwortet Prof. Meißner im Interview mit DiabSite-Redakteurin Helga Uphoff.

DiabSite:
Herr Prof. Meißner, Ende Mai berichteten die Medien, dass der Diabetes mellitus besiegt - der große Durchbruch in der Diabetestherapie gelungen sei. Dies hat auch bei den etwa 4,6 Millionen Diabetikerinnen und Diabetikern in Deutschland große Hoffnungen geweckt. Ein kanadisches Forscherteam der University of Alberta in Edmonton hat unter der Leitung von Prof. Ray Rajotte scheinbar erfolgreich die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse verpflanzt. Was bedeutet eine Inselzelltransplantation und was ist das Neue an dem kanadischen Therapieansatz?
Meißner:
Es wurde von acht Patienten berichtet, bei denen innerhalb des vergangenen Jahres diese Inseltransplantationen vorgenommen wurde, und diese Patienten sind seither insulinfrei, d. h. es muss kein Insulin mehr von außen zugeführt werden. Derartige Transplantationen werden bereits seit vielen Jahren durchgeführt. Die dabei auftretenden Probleme sind jedoch vielfältig. Erst einmal werden für diese Transplantationen sehr viele Inseln benötigt. Die menschliche Bauchspeicheldrüse enthält etwa eine Millionen sogenannte Langerhans'sche Inseln, das sind Zellhaufen in denen das Insulin produziert und abgegeben wird. Für die Transplantation müssen diese Inseln nun aus der Bauchspeicheldrüse eines Spenders durch eine sehr aufwendige Methode gewonnen werden. Dabei erhält man nur etwa 150.000 Inseln. Die Kanadier haben nun jedem Patienten insgesamt 300.000 Inseln aus zwei Spenderorganen transplantiert. Damit war die Zahl der Inseln schon wesentlich höher als bei den herkömmlichen Inseltransplantationen, was möglicherweise ein Grund für den bisherigen Erfolg ist.
DiabSite:
Aber ist diese Transplantation nicht eine gefährliche Operation?
Meißner:
Nein. Die Zelltransplantation selbst ist ein kleiner Eingriff, da die Inseln einfach über eine Ader (die Pfortader) in die Leber eingespritzt werden, wo sie sich ansiedeln. Die Probleme treten erst durch die Abwehrreaktion des Körpers auf. Diese muss durch eine sogenannte Immunsuppression bekämpft werden, die viele Nebenwirkungen hat. Sie schwächt unter anderem den Organismus gegenüber Infekten und kann sogar dazu führen, dass Personen, die so behandelt werden, vorzeitig Karzinome bekommen, d. h. an Krebs erkranken. Es handelt sich folglich um eine sehr eingreifende medikamentöse Therapie, die zudem lebenslang betrieben werden muss. Bisher wurde bei der Immunsuppression immer Kortison eingesetzt, und dieses Kortison ist gerade bei Diabetikern ungeeignet, weil es die Insulinempfindlichkeit erniedrigt und eigentlich selbst schon einen Diabetes mellitus auslösen kann.
DiabSite:
In Kanada wurde jedoch ein neuer "Medizincocktail" verabreicht, der kaum Nebenwirkungen haben soll. Ist dieses Problem dadurch beseitigt?
Meißner:
Auch in der kanadischen Studie wird eine Immunsuppression durchgeführt. Bei dem Schema, das die Kanadier nun angewendet haben, ist in der Mixtur jedoch kein Kortison mehr vorhanden. Vielleicht ist auch das ein Grund, warum die Immunsuppression in diesem Fall besser gewirkt hat, und die Patienten in einer relativ großen Zahl insulinfrei geworden sind. Jedenfalls scheint diese neue Immunsuppression relativ gut verträglich, gleichwohl gibt es Nebenwirkungen. Ein Jahr ist zudem ein viel zu kurzer Zeitraum, um sichere Aussagen machen zu können. Für eine gewissenhafte Nutzen-Risiko-Abwägung bleibt abzuwarten, was diese Medikamente auf lange Sicht bringen werden. Da man sich international auf ein einheitliches Schema bei der Inseltransplantation geeinigt hat, wird die in Kanada verwendete Form der Immunsuppression jetzt auch in Deutschland angewendet werden.
DiabSite:
Heißt das, alle Diabetiker können nun auch in Deutschland nach diesem Muster eine Inseltransplantation vornehmen lassen?
Meißner:
Dieses Immunsuppressionsschema wird z.B. auch in der Universitätsklinik in Gießen angewendet. Gießen ist das wichtigste Inseltransplantationszentrum in Deutschland. Hier wurden seit 1995 etwa 60 Patienten inseltransplantiert, von denen allerdings nur fünf insulinfrei sind, alle anderen müssen nach wie vor Insulin spritzen. Von der Inseltransplantation können aber nur Typ-1-Diabetiker profitieren. Beim Typ-2-Diabetiker liegt das Problem ja nicht in der fehlenden Insulinproduktion sondern in der Störung der Insulinabgabe und in der Insulinwirkung, d. h. das vorhandene Insulin wirkt an den Insulinzielorganen nämlich Leber, Muskulatur und Fettgewebe ungenügend. Im Übrigen befindet sich das ganze Verfahren nach wie vor in einem Versuchsstadium. Immer noch kann man nicht jedem Typ-1-Diabetiker zu einer Inseltransplantation raten, die in Deutschland bisher immer nur in Verbindung mit einer Nierentransplantation durchgeführt wird, eben weil diese Immunsuppression eine sehr eingreifende medikamentöse Therapie bedeutet und die Langzeituntersuchungen zu dem neuen Medikamentenmix noch fehlen. Zunächst ist der interessante Therapieansatz ein Experiment, das aber möglicherweise in den nächsten Jahren zu weiteren Erfolgen führen kann. Aber auch dann bliebe das Problem, für etwa 200.000 Typ-1-Diabetiker in Deutschland die 400.000 Spender zu finden, um die erforderliche Menge Langerhans'scher Inseln überhaupt bereitstellen zu können.
DiabSite:
Ist es richtig, dass die Spenderorgane dann auch noch ganz genau zu dem transplantationswilligen Patienten passen müssten?
Meißner:
Die Spenderorgane müssen unter anderem bezüglich der Blutgruppe übereinstimmen. Nur dann ist die Inseltransplantation überhaupt möglich. Man hat daher diese große Zahl geeigneter Spender einfach nicht.
DiabSite:
Das kanadische Transplantationsverfahren soll etwa 200.000 DM kosten. Würden die Krankenkassen in Deutschland - trotz notwendiger Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen - diese Kosten übernehmen?
Meißner:
Die hohen Kosten, die durch die aufwendige Prozedur entstehen, die Inselzellen aus den Spenderorganen zu präparieren, würden von den Kassen sicherlich ebenso übernommen, wie bei sonstigen Transplantationen - sei es die Herz-, Leber- oder Nierentransplantation. Zumal sich dadurch auch die Folgekosten des Diabetes mellitus erheblich reduzieren ließen. Ehe die Inseltransplantation jedoch für weite Kreise anwendbar ist, muss die Methode erst sicher sein und die Patienten dauerhaft insulinfrei machen. Die Kanadier überblicken nur einen Zeitraum von knapp einem Jahr, aber ein Diabetiker hat eine wesentlich höhere Lebenserwartung. Im Moment ist die gute Einstellung mit Insulin immer noch mit einer wesentlich größeren Lebenserwartung verbunden, als die bisher durchgeführten Inseltransplantationen.
DiabSite:
Herr Prof. Meißner, gibt es andere Forschungsrichtungen, die auf eine Heilung des Diabetes zielen und welche wären das?
Meißner:
Auf diesem Feld wird an vielen Orten sehr intensiv geforscht. So will man einerseits versuchen, Inselzellen zu transplantieren, die in Kapseln eingehüllt sind und sich somit der körpereigenen Abwehrreaktion entziehen. Auf der anderen Seite gibt es Experimente, Inselzellen von Tieren, z. B. von Schweinen zu transplantieren. Diese werden zunächst so manipuliert, dass sie keine Abwehrreaktion beim Menschen hervorrufen. Ferner wird in Erwägung gezogen, Zellen, die eigentlich gar kein Insulin produzieren, gentechnisch so umzuwandeln, dass sie dies können. Wenn das gelingen sollte, wäre die Abstoßungsreaktion überhaupt nicht gegeben. Das sind aber alles Studien, die noch mehr oder weniger in den Anfängen stecken. Ich denke mal, dass die Genmanipulation auf lange Sicht am ehesten zu einer Heilung des Typ-1-Diabetes führen könnte, aber auch hier ist meines Erachtens der Durchbruch nicht kurzfristig zu erwarten.
DiabSite:
Könnte man sagen, die Typ-1-Diabetiker dürfen weiterhin nach dem "Prinzip Hoffnung" (Ernst Bloch) leben, müssen sich aber noch etwas gedulden, bis der Diabetes wirklich besiegt ist?
Meißner:
Ich bin ganz optimistisch ob der Heilungschancen für Typ-1-Diabetiker und denke, dass Hoffnung hier angebracht ist. Allerdings muss man in größeren Zeitabschnitten rechnen, so meine ich, dass innerhalb der nächsten zehn Jahre mit größeren Erfolgen gerechnet werden kann.
DiabSite:
Herr Prof. Meißner, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Bildunterschrift: Prof. Dr. Dr. Hans-Peter Meißner
Bildquelle: privat

Autor: hu; zuletzt bearbeitet: 12.06.2000 nach oben

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