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Diabetes Typ 2 durch Nahrungsüberfluss und Bewegungsmangel begünstigt

Abstract zum Vortrag von Professor Dr. rer. nat. Annette Schürmann, Kongresspräsidentin Diabetes Kongress 2017, Vorstandsmitglied der DDG, Sprecherin des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung e.V. (DZD) und Leiterin der Abteilung Experimentelle Diabetologie am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE), im Rahmen der Vorab-Pressekonferenz zur 52. Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) am 17. Mai 2017 in Berlin.

Grundlagen- und Versorgungsforschung als Voraussetzung für eine innovative Patientenversorgung

Professor Dr. rer. nat. Annette Schürmann Nahrungsüberfluss und zu wenig Bewegung sind neben der erblichen Veranlagung dafür verantwortlich, dass immer mehr Menschen übergewichtig und adipös (fettleibig) werden. Dies wiederum ist der Hauptrisikofaktor für Insulinresistenz und Altersdiabetes (Typ-2-Diabetes).

Inzwischen wissen wir, dass unser Lebensstil den Aktivitätszustand von Genen nachhaltig beeinflussen kann, zum Beispiel durch chemische Modifikationen der DNA-Bausteine. Wir Wissenschaftler sprechen dann von sogenannten epigenetischen Veränderungen. Diese kann man sich wie Lichtdimmer vorstellen, durch welche die Aktivität einiger Gene erhöht oder herabgesetzt wird. Hierdurch beeinflussen sie nicht nur den Stoffwechsel der Person, bei der sie zuerst aufgetreten sind, sondern auch den Stoffwechsel ihrer Nachkommen, denn einige dieser Veränderungen sind vererbbar.

Das Forschungsgebiet der Epigenetik ist noch sehr jung und die zugrunde liegenden Mechanismen und Zusammenhänge zwischen Lebensstil, epigenetischen Veränderungen und Krankheitsentstehung sind noch nicht hinreichend untersucht. Daher arbeitet meine Gruppe mit Kollegen im Deutschen Zentrum für Diabetesforschung e. V. (DZD) eng zusammen, um die Ergebnisse unserer molekularen Grundlagenforschung im Rahmen eines translationalen Forschungsansatzes schneller für den Patienten nutzbar zu machen. Unter der Maxime "rascher Wissenstransfer aus dem Labor zum Patienten und auch zurück" schließt das Portfolio des DZD neben Ansätzen der Grundlagenforschung auch multizentrische klinische und epidemiologische Studien, Versorgungsforschung und die Entwicklung neuer Präparate zur individuellen Therapie des Typ-1- und Typ-2-Diabetes ein.

Was bedeutet translationale Forschung?

Im Englischen heißt es auch "from bench to bedside" (vom Labor in die Klinik). Gemeint sind interdisziplinäre Aktivitäten, die sich mit der schnellen und effizienten Umsetzung präklinischer Forschung in die klinische Anwendung beschäftigen, aber auch umgekehrt, Beobachtungen aus der Klinik und der Epidemiologie aufgreifen, um zugrunde liegende Mechanismen mithilfe von Zellkultur- und Tiermodellen aufzuklären. Unser Ziel im DZD ist es, über integrative Forschungsansätze maßgeschneiderte Lösungen für die Prävention, Diagnose und Therapie des Diabetes zu finden. So suchen wir und andere Kollegen nach spezifischen Biomarkern, die es erlauben, früh zwischen den Subtypen der Erkrankungen zu unterscheiden, oder die erkennen lassen, welche Patienten von welcher Intervention profitieren. Auf der DDG-Tagung in Hamburg findet vom DZD organisiert genau zu diesem Thema ein Symposium mit ausführlicher Diskussionsrunde statt. Der Titel lautet: "Diabetesepidemie: Trendwende durch translationale Forschung".

Ein Beispiel, um unsere translationale Forschung zu veranschaulichen

Sowohl klinische und epidemiologische Studienergebnisse als auch Daten aus Tierstudien zeigen, dass es nicht nur große Unterschiede gibt, wie Menschen beziehungsweise Mäuse auf bestimmte Nahrungsmittel reagieren, sondern auch wie die Diabeteserkrankung individuell verläuft. Dies liegt natürlich an der erblichen Veranlagung, aber nicht nur. Sogar bei genetisch identischen Mäusen wird deutlich, dass einige bei ungesunder, fett- und kohlenhydratreicher Kost dick und krank werden, andere hingegen nicht. Wie unsere neuesten Arbeiten zeigen, sind diese unterschiedlichen Reaktionen auf epigenetische Unterschiede zurückzuführen, die schon in frühester Jugend vorliegen. Aber nicht nur bei Mäusen beobachten wir dieses Phänomen. Auch in den klinischen Studien des DZD lassen sich Personen ausmachen, die gut auf eine Lebensstilintervention reagieren, Gewicht verlieren und ihre Blutwerte verbessern, während andere Studienteilnehmer nicht davon profitieren. Um die für diese Unterschiede relevanten epigenetischen Veränderungen zu identifizieren, konzentrieren wir uns auf die epigenetischen Markierungen im Genom, die konserviert sind. Das heißt, auf Veränderungen, die sowohl beim Menschen als auch bei der Maus in gleicher Weise auftreten, also identisch sind. So haben wir im letzten Jahr zwei wichtige Gene in der Leber von jungen Versuchstieren gefunden, die epigenetische Veränderungen aufweisen, welche in Abhängigkeit von der Ernährung das Entstehen einer Fettleber begünstigen. Auch bei Menschen, die unter einer Leberverfettung leiden, haben wir in Kooperation mit unseren DZD-Partnern solche Markierungen am Erbgut nachweisen können. Der Vorteil ist hier, dass sich einige der Veränderungen sogar in Blutzellen wiederfinden, sodass diese zukünftig als diagnostische oder prognostische Marker verwendet werden könnten.

Unsere Versuche an Labormäusen erlauben es aber nicht nur, für die menschliche Erkrankung bedeutsame epigenetische Veränderungen zu identifizieren. Sie ermöglichen es auch, unter kontrollierten Bedingungen zu prüfen, inwieweit eine epigenetische Veränderung reversibel ist, und wenn ja, auf welche Weise.

Wenn es uns gelingt, früh zwischen den Patienten zu unterscheiden, die auf bestimmte Lebensstilveränderungen oder medikamentöse Behandlungen erfolgreich reagieren oder nicht, könnte dies in Zukunft nicht nur viel persönliches Leid verhindern, sondern auch dazu beitragen, unser Gesundheitssystem zu entlasten, denn die Behandlungskosten nehmen beständig zu. Aus einer im DZD vom Team um Dr. Rathmann vorgenommenen Studie wissen wir, dass sich die "Pro-Kopf-Kosten" eines Menschen mit Typ-2-Diabetes innerhalb eines Jahres (von 2009 bis 2010) um 190 Euro erhöht haben und die Behandlungskosten eines Versicherten mit Diabetes um das 1,7-Fache höher liegen als die Kosten eines Versicherten ohne Diabetes.

(Es gilt das gesprochene Wort!)

Bildunterschrift: Professor Dr. rer. nat. Annette Schürmann
Bildquelle: Diabetes-Portal DiabSite

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zuletzt bearbeitet: 20.05.2017 nach oben

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