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Therapiefreiheit ade? Was das AMNOG für Ärzte und Patienten bedeutet

Abstract zum Vortrag von Professor Dr. med. Dirk Müller-Wieland, Vizepräsident und Mediensprecher der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), im Rahmen der Jahrespressekonferenz der Deutschen Diabetes Gesellschaft am 16. Februar 2016 in Berlin.

Professor Dr. med. Dirk Müller-Wieland Das AMNOG beauftragt das IQWiG um Bewertung eines möglichen Zusatznutzens für ein neues Medikament im Vergleich zu einer vom G-BA festgelegten und in der Versorgung weit verbreiteten "Standard"-Therapie. Daher prüft das IQWiG nicht den Effekt und die Sicherheit eines neuen Medikaments, dies ist die Aufgabe des BfArM bei der Zulassung, sondern dient mit der Beurteilung eines eventuellen Zusatznutzens allein der Rahmengebung für die anschließenden Preisverhandlungen zwischen GKV-Spitzenverband und pharmazeutischem Hersteller. Ein eventuell nicht vorhandener Zusatznutzen bedeutet nicht, dass dies Medikament "schlecht ist oder nicht wirkt", sondern lediglich, dass keine Beurteilung (häufig auf Grund IQWiG-methodenbedingter formaler Kriterien) in Bezug auf die Fragestellung und Vergleichstherapie erfolgen konnte. Dieses Missverständnis verunsichert Ärzteschaft, Patienten und Öffentlichkeit.

Vergleichstherapie heißt nicht, dass es eine Alternative zu innovativen Medikamenten gibt

Wenn eine neue Therapie "verglichen" wird, suggeriert dies durch die Methode vom IQWiG und die Fragestellung des G-BA, dass es vergleichbar effektive Alternativen gäbe. Neue Medikamente werden aber insbesondere bei chronischen und multifaktoriell bedingten Krankheiten, wie beispielsweise Diabetes mellitus, entwickelt, weil Therapieziele mit verfügbaren Substanzen meist nicht erreicht werden können. Die "additive" Wirkung von neuen Medikamenten in Bezug auf den prozentualen Anteil von Patienten, die nun durch die zusätzliche Gabe der neuen Substanz von wissenschaftlichen Fachgesellschaften ("medizinische Standard") empfohlene Therapieziele erreichen könnten, wird nicht berücksichtigt!

Medikamentöse Versorgung von Patienten mit chronischen Krankheiten wird durch den Preis und nicht einen Zusatznutzen bestimmt

Im Anschluss an die Bewertung einer neuen Therapie durch den G-BA werden Preisverhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit allein zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem pharmazeutischen Unternehmer geführt. Wenn kein Zusatznutzen bescheinigt wurde, ist es vorgegeben, dass der Preisrahmen dem der Vergleichstherapie entspricht. Dieser liegt bei Diabetes mellitus häufig im Cent-Bereich und führt dann häufig zum Rückzug eines Medikaments vom Markt. Die Versorgungsfolgen dieser geheimen Verhandlungen haben die Betroffenen zu tragen. Falls sich aber die Verhandlungspartner auf einen Preis einigen, der eventuell für den pharmazeutischen Hersteller tragbar, aber unter dem einer Therapie liegt, die einen Zusatznutzen bescheinigt bekommen hatte, und daher einen höheren Preis verhandeln konnten, wird das folgende Verschreibungsverhalten auf Grund der Wirtschaftlichkeit und der Ökonomisierung der Medizin durch den verhandelten Preis (und nicht den Zusatznutzen) bestimmt.

Verfügbare Therapieoptionen entsprechen nicht dem "medizinischen Standard"

Das in den vorangegangenen Punkten beschriebene Verfahren birgt die Gefahr, dass Therapiestrategien, die von wissenschaftlichen Fachgesellschaften als "medizinischer Standard" empfohlen werden, nicht zur Verfügung stehen oder auf Grund des Preises nicht umgesetzt werden.

Regionalisierung der Wirtschaftlichkeit wird die Therapiefreiheit und Versorgung von Patienten intransparent weiter einschränken

Das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (VSG) regelt die Regionalisierung der Arzneimittelsteuerung und Wirtschaftlichkeit ab dem 1. Januar 2017 auf der Grundlage von Vereinbarungen zwischen Landesverbänden der Kranken- und Ersatzkassen mit den zuständigen Kassenärztlichen Vereinigungen. Ein einheitlicher, transparenter Kriterienkatalog, der auf den Ergebnissen des AMNOG bzw. G-BA beruht, ist nicht vorgesehen und birgt daher die Gefahr einer "regionalen Willkür". Die hierdurch bedingten Verschreibungsvorgaben können die Therapiefreiheit des Arztes einschränken und zu einer föderalen Ungleichheit der Patientenversorgung führen. Auch hier besteht aus Sicht der DDG Handlungsbedarf.

(Es gilt das gesprochene Wort!)

Bildunterschrift: Professor Dr. med. Dirk Müller-Wieland
Bildquelle: Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG)

zuletzt bearbeitet: 03.03.2016 nach oben

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