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Adipositaschirurgie ist extrem wirksam

Abstract zum Vortrag von Prof. Dr. med. Jürgen Ordemann Leiter des Zentrums für Adipositas und Metabolische Chirurgie der Charité, Universitätsmedizin Berlin, im Rahmen einer Pressekonferenz zur 31. Jahrestagung der Deutschen Adipositas-Gesellschaft e.V. am 15. Oktober 2015 in Berlin.

Magenbypass - Schlauchmagen - Magenband

Die häufigsten Eingriffe in der Adipositas-/bariatrischen Chirurgie in Deutschland

Prof. Dr. med. Jürgen Ordemann In den meisten Fällen schaffen es krankhaft übergewichtige (adipöse) Patienten nicht mehr ihr Körpergewicht langfristig zu senken. Alle bekannten konservativen Maßnahmen wie Ernährungsberatung und Bewegungstherapie sind zum Scheitern verurteilt. Die Ursache für diese unerfreulichen Therapieverläufe findet sich in der Erkrankung selbst. Biophysiologische und genetische Voraussetzungen der Betroffenen, sowie eine komplett veränderte Umwelt führen zu diesem epidemisch auftretenden Krankheitsbild.

Wie sich mehr und mehr herausstellt, scheinen chirurgische Maßnahmen diesen Kreislauf zu durchbrechen. Zahlreiche Studien weisen nach, dass die chirurgische Therapie der Adipositas die einzig wirksame und vor allem langfristige Behandlungsform darstellt.

Darüber hinaus werden Folgeerkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 2, der Hypertonus oder das Schlafapnoesyndrom deutlich verbessert, wenn nicht sogar "geheilt" (Metabolischechirurgie). Auch die Lebensqualität der operierten Patienten steigt deutlich an und im Vergleich zu nicht operierten adipösen Patienten sinkt die Sterblichkeit deutlich.

Chirurgische Eingriffe bei Adipositas

Die häufigsten adipositaschirurgischen Eingriffe in Deutschland sind der Magenbypass, der Schlauchmagen und das Magenband.

a. Magenbypass (Gastric bypass)

Der Magenbypass wird mit Hilfe der Schlüssellochchirurgie angelegt. Der Chirurg legt zunächst aus dem Mageneingang einen kleinen Magenpouch (20-30 ml) an und trennt ihn vollständig vom Restmagen. Anschließend wird der Dünndarm im oberen Teil durchtrennt, die untere Dünndarmschlinge nach oben gezogen und an den Magenpouch angeschlossen. In diesen ursprünglich viel weiter dickdarmwärts gelegenen Dünndarmteil gelangt nun Nahrungsbrei aus dem Magenpouch; der ursprünglich für die Aufnahme des Nahrungsbreis aus dem Magen zuständige Dünndarmteil wird also umgangen. Damit entfällt aber auch die in diesem Dünndarmteil normalerweise stattfindende Nährstoffresorption über die Darmwand. Stattdessen werden hier nur noch Gallenflüssigkeit und Verdauungsenzyme aus der Bauchspeicheldrüse transportiert. Diese Schlinge wird weiter unten wieder an den Dünndarm angeschlossen, wo dann die Verdauungssäfte auf den Nahrungsbrei treffen. Der Magenbypass wirkt restriktiv und malabsorptiv, verhindert also die Aufnahme von Nährstoffen. Daneben sind aber auch hormonelle und neuronale Veränderungen ausschlaggebend für eine nachhaltige Gewichtsreduktion und für die erfolgreiche Behandlung metabolischer Komorbiditäten.

b. Schlauchmagen (Sleeve Gastgrectomy)

Die Anlage eines Schlauchmagens erfolgt mit der Schlüssellochchirurgie. Dabei wird der größte Teil des Magens reseziert, also entfernt. Es bleibt ein Restmagen mit einem Volumen von etwa 80 bis 120 ml. Dieser Restmagen hat die Form eines Schlauches und etwa die Größe einer Banane. Der Schlauchmagen reicht von der Speiseröhre bis zum Magenausgang und ist endoskopischen Untersuchungsmethoden weiter zugänglich. Mit der Entfernung von Magengewebe wird nicht nur eine Einengung des Magens und somit eine Restriktion erreicht, sondern auch eine Modifizierung der Hunger und Sättigung steuernden Hormone. Auch neuronale Steuerungselemente scheinen aktiviert zu werden, die einen direkten Einfluss auf zentrale Stoffwechselzentren haben. Die Operation dauert 30 bis 60 Minuten und wird in Vollnarkose durchgeführt.

c. Magenband (Gastric band)

Die Implantation des verstellbaren Magenbandes erfolgt mit der Schlüssellochchirurgie. Ein Silikonband wird unterhalb des Mageneingangs um den Magen platziert. Die Innenseite des Bandes besteht aus einem mit Flüssigkeit auffüllbaren Kissen, welches sich über ein Portsystem regulieren lässt. Somit lässt sich der Grad der Einengung des Magens (Restriktion) variieren. Der Magen wird durch das Magenband in einen kleinen Vormagen und einen großen Restmagen unterteilt. Das Portsystem wird im Bereich der vorderen Bauchwand im linken Oberbauch platziert. Die Operation dauert etwa 20 bis 30 Minuten und wird in Vollnarkose durchgeführt.

Adipositaschirurgische Verfahren (bariatrische Chirurgie) und ihre Wirkmechanismen

Traditionell wurden die adipositaschirurgischen Eingriffe eingeführt, um die Nahrungszufuhr zu reduzieren. Eine Verkleinerung des Magens (Restriktion) und eine gewünschte Mangelverdauung (Malabsorption) waren die primären Ziele. Dadurch sollte die Energieaufnahme der Patienten reduziert werden und somit eine starke Gewichtsreduktion ermöglicht werden. Die Anfänge der Adipositaschirurgie waren einzig und allein darauf angelegt, diese "Schlüsselmechanismen" zu ermöglichen.

Inzwischen wissen wir, dass die Wirkmechanismen der Adipositaschirurgie deutlich vielfältiger und komplexer sind. Klinische und experimentelle Studien lassen Restriktion und Malabsorption in den Hintergrund treten und komplexe physiologischen Mechanismen treten in den Vordergrund.

Die Veränderungen der Verdauungsanatomie führen zu vielfältigen biophysiologischen Veränderungen. So kommt es zu einer veränderten Sekretion von Darmhormonen. Diese spezifischen Hormone (GLP-1, PYY) scheinen eine exklusive Rolle im Hunger- und Sättigungssystem einzunehmen. Unmittelbar postoperativ verspüren die Patienten einen reduzierten Appetit und eine rasche Sättigung. Darüber hinaus spielt auch das sogenannte Ghrelin eine herausragende Rolle. Zentrale Hirnstrukturen erfahren postoperativ eine Änderung der "Hunger- und Sättigungsstrukturen". Trotz des geringeren Hungers erfahren die meisten Patienten dabei eine Steigerung ihres Energieumsatzes. Spannend sind auch die Änderungen der Gallensäurekonzentration und auch des sogenannten Microbioms, also der Bakterienzusammensetzung im Dickdarm. All diese Mechanismen führen dazu, dass schwerkranke, adipöse Patienten erstmalig langfristig ihr Körpergewicht senken können. Diäten werden nach einem operativen Eingriff nicht mehr als eine Qual empfunden, sondern als Normalzustand.

Adipositaschirurgie (bariatrische Chirurgie) in Deutschland

Deutlich verzögert im Vergleich zu anderen Ländern etabliert sich auch in Deutschland die Adipositaschirurgie: Wurden 2008 in Deutschland ca. 3000 Operationen durchgeführt, waren es im Jahr 2013 bereits 8700.

Trotz dieses offensichtlichen Erfolgs hinkt Deutschland im internationalen Vergleich noch weit hinterher. In Frankreich, Österreich, der Schweiz oder den USA wird 4- bis 10-mal häufiger operiert als in Deutschland.

Die Gründe hierfür sind vielfältig:

Adipositas gilt als selbstverschuldete Erkrankung, Adipositas-Patienten, so ein häufiger Vorwurf, seien einfach nur undiszipliniert und bewegungsscheu und sollten sich gefälligst anstrengen, um abzunehmen. Der krankhaften Fettsucht ist allerdings mit Lebensstiländerungen und symptomatischer Behandlung der Komorbiditäten allein nicht beizukommen. Die bariatrisch-metabolische Chirurgie bietet als evidenzbasiertes Verfahren einen Ausweg aus diesem Dilemma.

Trotz dieser bestechenden Erkenntnis verweigern viele Krankenversicherungen in Deutschland nach wie vor die Kostenübernahme und/oder legen die Hürden nahezu unüberwindbar hoch. Selbst wenn ein Patient einen BMI von 40 kg/m² aufweist und adipositasbedingt an Diabetes mellitus Typ 2 leidet, muss er vor einem Eingriff zunächst ein 6-monatiges, konservatives multimodales Therapieprogramm absolvieren. Jahrelange Versuche der Patienten mit Diäten und Gewichtsreduktionsprogrammen werden von den Kostenträgern nicht als Therapieprogramm anerkannt. Darüber hinaus sind die meisten Patienten mental und körperlich gar nicht in der Lage, solche Auseinandersetzungen mit ihrer Krankenversicherung zu führen.

Selbstverständlich ist zu fordern, dass bei OP-Kandidaten die Motivation und die Erfolgsaussichten des Eingriffs überprüft werden; allerdings wird eine solche präoperative Betreuung, die von Internisten, Diabetologen und/oder Ernährungsmedizinern durchgeführt werden sollte, von den Kostenträgern nicht honoriert. Auch die nach dem Eingriff notwendige lebenslange ärztliche Begleitung wird bislang nicht finanziert.

Aber: Der Druck auf die Kostenträger steigt, denn die Gruppe der morbid adipösen Patienten, also solchen mit einem BMI >40 kg/m² wächst exponentiell an. Die bariatrisch-metabolische Operation ist das wirksame Werkzeug zur Bekämpfung dieses Problems; und auf ein solches Instrument werden wir nicht verzichten können.

Darüber hinaus benötigen wir auch in Deutschland ein Netzwerk geschulter internistischer Kolleginnen und Kollegen, die für die prä- und postoperative Betreuung der Patienten Sorge tragen.

Zusammenfassung

(Es gilt das gesprochene Wort!)

Bildunterschrift: Prof. Dr. med. Jürgen Ordemann
Bildquelle: Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE)

zuletzt bearbeitet: 30.10.2015 nach oben

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