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Diabetes und Essstörungen - eine gefährliche Kombination

Abstract zum Vortrag von Professor Dr. med. Stephan Herpertz im Rahmen der Pressekonferenz "Psychosoziales und Diabetes" der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) am 18. Juni 2013 in Berlin.

Welche therapeutischen Hilfen gibt es?

Professor Dr. med. Stephan Herpertz Adoleszente und junge Frauen mit Typ-1-Diabetes mellitus (DM) zeigen eine überzufällige Koinzidenz mit der Bulimia nervosa (BN). Aber auch die Prävalenz von Essstörungen, die nicht alle Kriterien der BN erfüllen (atypische Essstörungen, subsyndromale Essstörungen), ist im Vergleich zu Frauen dieser Altersgruppe ohne DM erhöht. Die Komorbidität von Typ-1-Diabetes mellitus und einer Essstörung stellt einen Risikofaktor für die Entwicklung späterer diabetischer Folgeerkrankungen dar. So zeichnen sich essgestörte Patientinnen mit Typ-1-Diabetes mellitus durch eine unzureichende Stoffwechselkontrolle und die frühzeitigere Entwicklung von diabetischen Spätschäden wie der Retinopathie (Schädigung der Augen), Nephropathie (der Niere) und Neuropathie (der Nerven) aus. Auch die Mortalität ist bei der Komorbidität von DM und einer Essstörung erhöht.

Bulimisches Essverhalten ist geprägt durch Kontrollverluste bei der Nahrungsaufnahme (Essanfall) und gegenregulatorische Maßnahmen, um die im Essanfall aufgenommenen überschüssigen Kalorien wieder zu verlieren. Diese gegenregulatorischen Maßnahmen umfassen in der Regel Fasten (Diäten), exzessiven Sport, Erbrechen, Laxantienabusus etc.). Eine für Patientinnen mit DM charakteristische gegenregulatorische Maßnahme ist das "Insulin-Purging": Mittels bewusster Reduktion der Insulindosis und konsekutiver Glukosurie (Ausscheidung von Zucker über den Urin) kann eine drastische Gewichtsabnahme induziert werden. Insulin-Purging geht mit der frühzeitigen Entwicklung diabetischer Spätschäden einher.

Die Binge-Eating-Störung, eine neue Essstörungsentität, ist insbesondere bei Übergewicht und Adipositas zu beobachten. Auch wenn die Binge-Eating-Störung bei Menschen mit Typ-2-Diabetes mellitus im Vergleich zu stoffwechselgesunden Menschen nicht häufiger auftritt, stellt sie doch einen Risikofaktor für eine akzelerierte Gewichtszunahme dar, welche in der Regel mit einer Zunahme der Insulinresistenz (Unwirksamkeit von Insulin) einhergeht.

Fazit: Bei jeder jungen Patientin mit Typ-1-Diabetes mellitus, unzureichender Stoffwechseleinstellung sowie erheblichen Schwankungen des Blutglukosespiegels und des Gewichts sollte frühzeitig eine BN mit oder ohne "Insulin-Purging" ausgeschlossen werden. Bei allen Essstörungen stellt die Psychotherapie das Mittel der Wahl dar. Wegen der gesundheitlichen Gefahren durch die Essstörung, der häufig anzutreffenden komorbiden depressiven Störung sowie der negativen Auswirkungen auf die Diabetestherapie wird eine fachpsychotherapeutische Behandlung dieser Patientinnen empfohlen. Beim Typ-1-Diabetes kommt es laut Studien durch die Psychotherapie zu einer deutlichen Besserung der Stoffwechsellage und damit zu einer Minderung des Risikos der frühzeitigen Entwicklung von diabetischen Spätschäden. Studien an Patienten mit Typ-2-Diabetes sind bisher wenig bekannt.

Zur Therapie: Psychotherapie wird heute störungsübergreifend und störungsorientiert durchgeführt. Im Hinblick auf die Essstörung wird eine Normalisierung des Essverhaltens und zum Beispiel bei der Magersucht eine Normalisierung des Körpergewichts angestrebt. Gleichzeitig wird versucht, die zur Essstörung führenden Probleme zu behandeln, welche in der Regel mit dem Selbstwert zu tun haben. In der Adoleszenz, wo der Manifestationsgipfel der Essstörungen liegt (Magersucht und BN) entsteht in der Regel auch der Diabetes mellitus Typ 1. Ein für diese Altersgruppe pathognomonischer Selbstwertkonflikt wird durch den Diabetes noch verschärft. Darauf richten sich die therapeutischen Ansätze. Auch ist es wichtig, eben wegen dieser Altersgruppe, die Familie in die Therapie mit einzubeziehen. Auch sollte der oder die Psychotherapeut/in Grundkenntnisse in der Diabetologie besitzen, sonst fühlt sich der/die Patientin nicht ausrechend verstanden.

(Es gilt das gesprochene Wort!)

Quellen

S2-Leitlinie Psychosoziales und Diabetes - Langfassung 2013
- 1. Teil in: Diabetologie 2013, Ausgabe 3, dx.doi.org/10.1055/s-0033-1335785
- 2. Teil in Diabetologie 2013; Ausgabe 4 (ET: August), 10.1055/s-0033-1335889
- Im Internet: http://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/leitlinien/evidenzbasierte-leitlinien.html

Bildunterschrift: Professor Dr. med. Stephan Herpertz, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, LWL-Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum; Sprecher der Leitlinie von Seiten der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM)
Bildquelle: Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG)

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zuletzt bearbeitet: 18.06.2013 nach oben

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