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Individuelle Therapie für multimorbide Typ-2-Diabetiker

Pressemitteilung: BERLIN-CHEMIE AG

Risikofaktoren reduzieren - Unterzuckerungen vermeiden - die Nieren im Blick behalten

Der Typ-2-Diabetes ist nicht selten Teil eines metabolischen Syndroms und damit per se mit Begleiterkrankungen assoziiert. Hinzu kommt, dass der demografische Wandel auch vor Diabetikern nicht haltmacht. Multimorbidität ist bei Diabetikern daher die Regel und nicht die Ausnahme. Welche Möglichkeiten gibt es, das Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko in dieser vielschichtigen Patientengruppe zu verringern? Und welche Parameter bedürfen der besonderen Beobachtung? Diesen Fragen stellten sich namhafte Experten bei einer Expertendiskussion unter dem Vorsitz von Professor Dr. Michael Nauck, Diabeteszentrum Bad Lauterberg, die von der BERLIN-CHEMIE AG im Rahmen der 47. Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) am 16. Mai 2012 in Stuttgart veranstaltet wurde.

Was ist eigentlich "Multimorbidität" - ist das das Gleiche wie "alt sein"? Dieser Frage ging Prof. Dr. Cornel Sieber vom Institut für Biomedizin des Alterns in Nürnberg nach. Klar sei, dass der demografische Wandel zu einem Anstieg des Anteils alter Menschen in der Bevölkerung führe und damit auch zu einem Anstieg der Multimorbidität. Doch wo hört normales Altern auf und wo fängt Multimorbidität an?

In gewissem Umfang gehören Einschränkungen physiologischer Funktionen wie Herzminutenvolumen, Vitalkapazität oder Nierendurchblutung zum normalen Altern ("normal aging"), so Sieber. Er unterstrich, dass diese Einschränkungen allein nicht unbedingt Krankheitswert haben, aber die funktionelle Reserve reduzieren können. Kämen nun Erkrankungen wie ein Diabetes hinzu, so könne das mittlerweile fragile System aus dem Gleichgewicht geraten und rasch in eine symptomatische Multimorbidität münden. "Der Typ-2-Diabetes ist eine der häufigsten Komorbiditäten beim älteren Menschen", betonte Sieber und verdeutlichte damit die Notwendigkeit einer zielgerichteten Diabetestherapie in diesem Patientenkollektiv.

Dass ein Diabetes in seiner Pathologie meist nicht allein steht, betonte auch Dr. Axel Versen, niedergelassener Facharzt für Innere Medizin, Nephrologie und Diabetologie in Friedrichshafen, der in seinem Vortrag insbesondere auf die engen Beziehungen zwischen Diabetes mellitus und Niereninsuffizienz sowie das sogenannte "kardiorenale Syndrom" einging. Um Diabetes-Patienten vor einer Niereninsuffizienz zu bewahren, sei vor allem eine frühzeitige Intervention notwendig. "Ab einem Niereninsuffizienzstadium III ist es wahrscheinlicher, einen kardiovaskulären Tod zu erleiden, als das nächste Stadium zu erreichen" brachte Versen das Problem auf den Punkt. Doch was heißt das für die klinische Praxis? Wichtig seien vor allem ein optimiertes Risikofaktorenmanagement mit Einstellung von Blutdruck, Lipid- und Glukosestoffwechsel, Senkung einer Proteinurie, eine optimierte Herzinsuffizienz-Therapie sowie ein strenges Augenmerk auf den Phosphathaushalt bei niereninsuffizienten Patienten.

Auf Besonderheiten der Pharmakokinetik bei multimorbiden Diabetes-Patienten und insbesondere die Gefahr von Hypoglykämien bei Eliminationsstörungen antidiabetischer Substanzen ging Prof. Dr. Walter Haefeli, Abteilung Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie der Universität Heidelberg, ein. Haefeli stellte hier insbesondere die Bedeutung von CYP2C9 (Cytochrom P450 2C9) für die hepatische Elimination von Sulfonylharnstoffen und Gliniden dar und demonstrierte, wie eine geringere CYP2C9-Aktivität zu einer Wirkstoffakkumulation und schließlich zu Hypoglykämien führen kann. CYP2C9 könne zum Beispiel durch Medikamente wie Fluconazol oder Trimethoprim gehemmt werden [1], was bei der Auswahl einer antidiabetischen Therapie zu berücksichtigen sei. Sitagliptin, ein Vertreter aus der Gruppe der DPP-4-Hemmer, würde wiederum kaum metabolisiert werden, sondern überwiegend unverändert über den Urin ausgeschieden.[2] Daraus resultiere auch die Dosisanpassung bei Diabetikern mit einer mäßigen, schweren oder terminalen Niereninsuffizienz, für die die Therapie jüngst auch in Europa zugelassen wurde.[2] Insgesamt sei das Risiko für klinisch relevante Wechselwirkungen bei dem DPP-4-Hemmer gering, so Haefeli.

Dass multimorbide Patienten stärker Hypoglykämie-gefährdet sind als Diabetiker ohne Begleiterkrankungen, betonte auch Prof. Dr. Werner Kern vom Zentrum für Hormon- und Stoffwechselerkrankungen Endokrinologikum Ulm. So steige das Hypoglykämierisiko bei Patienten mit Typ-2-Diabetes zum Beispiel mit dem Lebensalter, mit Beeinträchtigungen der kognitiven Funktion oder bei chronischer Niereninsuffizienz.[3,4,5] Anders herum bedeuteten aber Hypoglykämien auch eine höhere Gefahr für kardiovaskuläre Ereignisse bei dieser ohnehin vorbelasteten Patientengruppe, so Kern. Durch Hypoglykämien könne es über eine Zunahme der QT-Zeit zu Herzrhythmusstörungen kommen [6], zu einer Verstärkung inflammatorischer, prothrombotischer und atherogener Mechanismen [7], zu einer Abnahme der myokardialen Durchblutungsreserve[8] und schließlich zu einer Erhöhung des Risikos für kardiovaskuläre Ereignisse und Todesfälle.[9] Kern kam zu dem Schluss, dass aus diesen Gründen insbesondere bei multimorbiden Patienten die Vermeidung von Hypoglykämien besonders wichtig ist.

Welche Anforderungen an die Differentialtherapie des multimorbiden Diabetes-Patienten zu stellen sind, erläuterte abschließend Prof. Dr. Michael Nauck, Diabeteszentrum Bad Lauterberg. Er stellte dabei das jüngst publizierte Positionspapier der American Diabetes Association (ADA) und der European Association for the Study of Diabetes (EASD) vor, in dem ein patientenzentrierter Ansatz im Sinne einer individualisierten Therapie formuliert wird.[10] Das könne bei älteren und multimorbiden Patienten auch bedeuten, sich mit einem HbA1c von 8 % als Zielwert zufrieden zu geben, wenn eine weitere Blutzuckersenkung mit Gefahren verbunden wäre, so Nauck.

Zudem ist bei den therapeutischen Überlegungen die Organverträglichkeit der einzelnen Substanzen zu beachten - bei Patienten mit Niereninsuffizienz entfallen bereits eine ganze Reihe medikamentöser Optionen. Während beispielsweise Metformin bei deutlich reduzierter Kreatinin-Clearance kontraindiziert sei, gäbe es seit einiger Zeit mit den DPP-4-Hemmern neue Therapieoptionen für niereninsuffiziente Typ-2-Diabetiker. Nauck stellte in diesem Zusammenhang die Studiendaten für Sitagliptin vor. Demnach ist Sitagliptin in reduzierter Dosis bei Patienten mit mäßiger oder schwerer Niereninsuffizienz bei deutlich weniger Hypoglykämien ähnlich wirksam wie ein Sulfonylharnstoff.[11] Ähnliche Ergebnisse zeigten sich auch bei dialysepflichtigen Typ-2-Diabetikern [12], für die der DPP-4-Hemmer in reduzierter Dosis ohne Einschränkung zugelassen ist.[2]

Quellen

Literatur

  1. Schelleman H et al. Anti-infectives and the risk of severe hypoglycemia in users of glipizide or glyburide. Clin Pharmacol Ther 2010; 88: 214-222.

  2. Fachinformation Xelevia®, Stand Januar 2012.

  3. Holstein A et al. Clinical characterisation of severe hypoglycaemia-a prospective population-based study. Exp Clin Endocrinol Diabetes 2003; 111: 364-369.

  4. Moen MF et al. Frequency of hypoglycemia and its significance in chronic kidney disease. Clin J Am Soc Nephrol 2009; 4: 1121-1127

  5. Punthakee Z et al. Poor cognitive function and risk of severe hypoglycemia in type 2 diabetes: post hoc epidemiologic analysis of the ACCORD trial. Diabetes Care 2012; 35: 787-793.

  6. Marques JL et al. Altered ventricular repolarization during hypoglycaemia in patients with diabetes. Diabet Med 1997; 14: 648-654.

  7. Gogitidze JN et al. Effects of acute hypoglycemia on inflammatory and pro-atherothrombotic biomarkers in individuals with type 1 diabetes and healthy individuals. Diabetes Care 2010; 33: 1529-1535.

  8. Rana O et al. Acute hypoglycemia decreases myocardial blood flow reserve in patients with type 1 diabetes mellitus and in healthy humans. Circulation 2011; 124: 1548-1556.

  9. Zoungas S et al. Severe hypoglycemia and risks of vascular events and death. N Engl J Med 2010; 363: 1410-1418.

  10. Inzucchi SE et al. Management of Hyperglycemia in Type 2 Diabetes: A Patient-Centered Approach: Position Statement of the American Diabetes Association (ADA) and the European Association for the Study of Diabetes (EASD). Diabetes Care 2012; 35: 1364-1379.

  11. Arjona Ferreira JC et al. Efficacy and safety of sitagliptin versus glipizide in patients with type 2 diabetes and moderate to severe chronic renal insufficiency. Diabetes Stoffw Herz, 2011; 20 (6): 419, Poster Presentations P53.

  12. Arjona Ferreira JC et al. Efficacy and safety of sitagliptin vs. glipizide in patients with type 2 diabetes mellitus and end-stage renal disease on dialysis: a 54-week randomised trial. Diabetes Stoffw Herz, 2011; 20 (6): 430, Poster Presentations P24.

zuletzt bearbeitet: 19.06.2012 nach oben

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