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GLP-1 und DPP-4-Inhibitoren für Typ-2-Diabetiker

Abstract zum Vortrag von Professor Dr. med. Michael Nauck im Rahmen der Pressekonferenz zur 45. Jahrestagung der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) am 14. Mai 2010 in Stuttgart.

Neue Medikamente in der Diabetestherapie

Professor Dr. med. Michael Nauck Die Zahl der Menschen mit der häufigsten Form eines Diabetes, dem sogenannten Typ-2-Diabetes, steigt unaufhaltsam, und zwar im Gefolge einer Epidemie des Übergewichts, das heutzutage über ein Drittel der Bevölkerung Deutschlands betrifft und in Zukunft noch stärkere Ausmaße anzunehmen droht. Diese bedrohliche Entwicklung geschieht, obwohl uns seit Jahrzehnten Diabetesmedikamente zur Verfügung stehen, und obwohl die auslösenden Faktoren unseres westlichen Lebensstils eigentlich bekannt sind und durch Überführung in einen gesünderen Lebensstil vermieden werden könnten.

Ein zentraler Grund, warum es bisher nicht gelungen ist, diese Diabetes-Epidemie einzudämmen, liegt in der Tatsache begründet, dass nicht alle traditionellen Diabetesmedikamente nur Eigenschaften haben, die alle Aspekte des Typ-2-Diabetes in dem Sinne beeinflussen, wie es aus medizinischer Warte richtig und wünschenswert wäre. So haben zahlreiche antidiabetisch eingesetzte Medikamente den unerwünschten Nebeneffekt, eine Gewichtszunahme eher zu fördern, obwohl Diabetes häufig im Zusammenhang und aufgrund eines Übergewichts entsteht und zu den Behandlungsbemühungen immer auch gehört, das Gewicht zu kontrollieren, wenn möglich, sogar zu reduzieren.

Die steigende Zahl der Menschen mit Diabetes zeigt auch einen "wachsenden Markt" für Antidiabetika an. Dies ist eine Herausforderung für pharmazeutische Unternehmen, neue Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln, klinisch zu prüfen und zur Zulassung zu bringen. In der Tat hat es in den Jahren seit 2007 deutlich mehr neue Medikamente gegeben, die zur Diabetesbehandlung zugelassen werden, als in den Jahren zuvor. Sie betreffen in der ersten Linie eine neue Klasse von antidiabetischen Medikamenten, deren gemeinsame Muttersubstanz ein Darmhormon, nämlich Glukagon-ähnliches Peptid-1 (engl. Glucagon-like Peptide-1, GLP-1) ist. Nicht zuletzt Studien aus deutschen Universitätsabteilungen haben den Boden für diese neuen Behandlungsformen bereitet, indem sie die blutzuckersenkende Wirkung von GLP-1 bei Patienten mit Typ-2-Diabetes in eindrucksvoller Weise belegt haben. Allerdings ist das Darmhormon GLP-1 im menschlichen Organismus so anfällig für Abbauvorgänge und Inaktivierungen, dass es selbst für eine Dauerbehandlung nicht geeignet ist.

Zwei verschiedene Wege wurden beschritten, um aus dem sehr gut funktionierenden Therapieprinzip GLP-1 neue Medikamente zu entwickeln: Dies sind zum einen hormonähnliche Substanzen, die entweder in der Natur vorgefunden wurden (Beispiel: Exenatide) oder durch willentliche Modifikation der Muttersubstanz im Labor entwickelt wurden (Beispiele: Liraglutid, Taspoglutid). Da diese neuen Moleküle ebenfalls am Rezeptor für GLP-1 andocken und dort ihre Wirkung entfalten, ähnlich wie GLP-1, werden sie Inkretinmimmetika, also Nachahmer der Inkretinwirkung genannt. Die zweite Klasse Medikamente dieser Art sind die Hemmstoffe des Enzyms Dipeptidyl-Dipeptidase 4 (sogenannte DPP-4-Inhibitoren), die den Abbau und die Inaktivierung von GLP-1 deutlich reduzieren und durch vermehrte Wirkung des aus dem Darm im Patienten freigesetzten GLP-1 die antidiabetische Wirksamkeit entfalten.

Beide Medikamentenklassen zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht überschießend wirken können (keine Auslösung von Unterzuckerungszuständen, sogenannten Hypoglykämien) und dass sie nicht zu einer Gewichtszunahme führen. Im Falle der Inkretinmimetika ist sogar mit einer soliden Gewichtsabnahme zu rechnen. Die ersten Inkretinmimetika und DPP-4-Hemmstoffe wurden 2007 in Deutschland eingeführt. Ihr Preis liegt deutlich über dem für altbekannte antidiabetische Medikamente und naturgemäß gibt es zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Langzeitstudien, die bei größeren Patientenkollektiven bewiesen haben, dass Diabetes-Folgeschäden durch eine solche Therapie verzögert oder reduziert werden können. In dieser Situation, die jedes neue Medikament durchlaufen muss, ist die Bewertung der neuen Medikamente sehr unterschiedlich, je nachdem ob man für eine Empfehlung die bereits bekannten, sehr sympathischen Eigenschaften der neuen Medikamente im Vordergrund sieht (keine Unterzuckerungsgefahr, keine Gewichtszunahme, vielleicht sogar eine Unterstützung der Gewichtsreduktion), oder ob man sich den strengen Regeln der "Evidence-Based Medicine" unterwirft, die eine Therapieempfehlung nur dann für gerechtfertigt ansehen, wenn das endgültige Therapieziel, nämlich die Reduzierung der Diabetes Folgeerkrankungen und die Verlängerung der durch Diabetes verkürzten Lebensspanne, in Studien belegt sind.

Personen und Institutionen, die in erster Linie die Kosten der Behandlung im Auge haben, verwenden die letztgenannten Argumente, Ärzte und Wissenschaftler, die ihren Patienten Behandlungsmethoden empfehlen und mindestens das Einverständnis, wenn nicht sogar die Zustimmung ihrer Patienten für den Beginn einer bestimmten Therapie benötigen, betonen eher die erwünschten Eigenschaften der neuen Medikamente. Im Übrigen gibt es zahlreiche Versuche, die zuerst entwickelten Präparate beider neuer Klassen durch weiter verbesserte Substanzen zu ergänzen, gegebenenfalls abzulösen.

(Es gilt das gesprochene Wort!)

Bildunterschrift: Professor Dr. med. Michael Nauck, Tagungspräsident der 45. Jahrestagung der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG), Leitender Arzt Diabeteszentrum Bad Lauterberg, Bad Lauterberg im Harz.
Bildquelle: Deutsche Diabetes-Gesellschaft (DDG)

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zuletzt bearbeitet: 15.05.2010 nach oben

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