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Nutzen von Exenatide ist noch nicht belegt

Keine Überlegenheit gegenüber Therapiealternative Insulin bei Blutzuckersenkung - Langzeit-Effekte unklar

Seit Mai 2007 steht Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 ein neuer Wirkstoff zur Verfügung: Exenatide. Das von der Herstellerfirma Eli Lilly unter dem Handelsnamen Byetta® vertriebene Medikament wurde für Patienten entwickelt, die ihren Blutzucker mit herkömmlichen oralen Antidiabetika nicht ausreichend gut einstellen können und bei denen deshalb eine zusätzliche Therapie mit Insulin oder mit einem weiteren oralen Diabetes-Medikament angezeigt wäre.

Wie Insulin wird auch Exenatide unter die Haut gespritzt. Nach aktueller Studienlage senkt Exenatide zwar nachweislich den Blutzucker, ist Insulin dabei aber nicht überlegen. Zudem fehlen Belege, dass die verbesserte Blutzuckerkontrolle dazu beiträgt, Folgekomplikationen des Diabetes zu vermindern. In der Langzeitanwendung sind Nutzen und Schaden des neuen Wirkstoffs noch gänzlich unklar. Zu diesem Ergebnis kommt ein Bericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), den das Kölner Institut am 17. September 2007 veröffentlicht hat.

Anwendung nur in Kombination mit oralen Antidiabetika möglich

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hatte das IQWiG beauftragt, in einem sogenannten Rapid Report zu prüfen, ob Exenatide einen für Patienten relevanten Nutzen hat. Exenatide darf nicht allein angewendet werden (Monotherapie). Eine Zulassung hat der Wirkstoff nur für die kombinierte Gabe mit Metformin und/oder Sulfonylharnstoffen. Dementsprechend suchten die IQWiG-Wissenschaftler nach Studien, die Exenatide zusätzlich zu diesen oralen Antidiabetika entweder mit Placebo oder mit anderen, den Blutzucker senkenden Therapien verglichen.

Sie fanden 5 randomisierte kontrollierte Studien, die sie in die Bewertung einbeziehen konnten. In drei dieser Studien erhielten die Patienten in der Kontrollgruppe ein Scheinmedikament (Placebo-kontrolliert), in den beiden anderen wurde ihnen Insulin verabreicht (aktiv kontrolliert). In allen Behandlungsgruppen erhielten die Probanden zusätzlich Metformin und/oder Sulfonylharnstoff. Um in die Bewertung eingeschlossen zu werden, mussten die Studien eine Laufzeit von mindestens 12 Wochen aufweisen.

Vergleichbare Ergebnisse bei HbA1c-Wert und Unterzuckerungen

Was die Senkung des Blutzuckerspiegels betrifft, zeigte sich Exenatide dem Scheinmedikament überlegen und der Insulintherapie nicht unterlegen: Unter Exenatide und Insulin erreichten Patienten im Mittel jeweils eine Senkung des HbA1c-Werts von knapp 1%. Vergleichbar war auch die Häufigkeit schwerer Unterzuckerungen und zwar sowohl in den Placebo-kontrollierten als auch in den aktiv kontrollierten Studien (mit Insulin Aspart und Insulin Glargin).

Mehr unerwünschte Ereignisse unter Exenatide

Eindeutig schlechter schneidet Exenatide allerdings mit Blick auf unerwünschte Ereignisse ab: Sowohl im Vergleich mit Placebo als auch mit Insulin litten Patienten, die Exenatide spritzten, häufiger an Übelkeit, Erbrechen oder Durchfall und brachen demzufolge auch häufiger die Studie ab. Dabei stieg die Rate dieser unerwünschten Ereignisse und der Studienabbrüche mit der verabreichten Dosis von Exenatide.

Exenatide erleichtert Gewichtskontrolle

In allen Studien konnten Probanden in den Exenatide-Gruppen ihr Körpergewicht abbauen. Sie waren dabei etwas erfolgreicher als die Patienten in den Placebo-Gruppen, wohingegen Patienten, die Insulin spritzten, zunahmen. In den aktiv kontrollierten Studien betrug die Differenz der Gewichtsveränderung je nach Laufzeit zwischen 4,1 kg (Insulin Glargin nach 26 Wochen) und 5,5 kg (Insulin Aspart nach 52 Wochen). Unklar bleibt allerdings, welche gesundheitlichen Auswirkungen die verbesserte Gewichtskontrolle hat. Es gibt lediglich Hinweise, dass der Blutdruck sinkt. Offen bleibt auch, ob Patienten davon einen Zusatznutzen in Form verminderter Folgekomplikationen des Typ-2-Diabetes haben.

Keine belastbaren Daten zu Lebensqualität und Therapiezufriedenheit

Daten zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität und zur Therapiezufriedenheit der Patienten wurden in den beiden aktiv kontrollierten Studien erhoben. Publiziert und damit verfügbar sind sie indes nur für den klinischen Vergleich mit Insulin Glargin. Demnach hatten sowohl die mit Exenatide als auch die mit Insulin Glargin behandelten Patienten an Flexibilität gewonnen was das Essen und die Alltags-Aktivitäten betrifft und waren mit der Therapie insgesamt zufriedener als zuvor. Die Ergebnisse fallen in beiden Gruppen ähnlich gut aus, könnten aber zugunsten von Exenatide verzerrt sein, weil die Daten von Patienten, die die Studie wegen unerwünschter Ereignisse frühzeitig abgebrochen hatten, nicht in die Auswertung einbezogen worden waren. Einen Vorteil für eine der beiden Therapieoptionen können die Kölner Wissenschaftler jedenfalls bei den Therapiezielen Lebensqualität und Therapiezufriedenheit nicht erkennen.

Langfristiger Nutzen oder Schaden bleibt unklar

In seinem Fazit kommt das IQWiG zu dem Ergebnis, dass Exenatide zwar nachweislich den Blutzucker senkt, ein Nutzen aber nicht belegt ist. Denn bislang sind keine relevanten Daten aus Studien verfügbar, die Aussagen über einen positiven oder negativen Einfluss auf diabetische Folgekomplikationen, die Sterblichkeit, auf die Häufigkeit der stationären Behandlung oder auf durch Stoffwechselentgleisungen ausgelöste Komata zulassen. Inwieweit die Gewichtsabnahme auf Dauer Folgeerkrankungen des Diabetes verringern hilft, ist noch nicht untersucht. Darüber hinaus ist unklar, ob und welche Nebenwirkungen unter Exenatide bei einer länger dauernden Anwendung auftreten. Ein langfristiger (Zusatz-)Nutzen oder Schaden kann auf Basis der derzeit verfügbaren Daten somit weder belegt, noch ausgeschlossen werden.

Hintergrund Rapid Report

Der Auftrag, den therapeutischen Nutzen von Exenatide zu bewerten, sollte in einem beschleunigten Verfahren, als sogenannter Rapid Report erfolgen. Bei einem Rapid Report werden - im Unterschied zum sonst üblichen Prozedere - Berichtspläne und Vorberichte nicht veröffentlicht. Zwar wird eine Vorversion des Berichts extern begutachtet, es entfällt aber die Anhörung, bei der alle Interessierten Stellungnahmen abgeben können. Da zudem für die Publikation keine Fristen eingehalten werden müssen, gestaltet sich das Verfahren insgesamt weniger zeitaufwändig. Dem G-BA und den beteiligten Organisationen dient ein Rapid Report in erster Linie dazu, ein eigenes Meinungsbild zu gewinnen. Für Richtlinienentscheidungen ist er in der Regel nicht geeignet, weil keine Stellungnahmen vorgesehen sind.

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Hintergrund Wirkstoff Exenatide

Exenatide ist ein sogenanntes Inkretin-Mimetikum: Der Wirkstoff ahmt die Wirkung eines körpereigenen Inkretins, des GLP-1 nach. Inkretine sind Hormone, die im Magen-Darm-Trakt gebildet werden. In der Bauchspeicheldrüse regen sie - in Abhängigkeit von der Höhe des Blutzuckerspiegels - die Insulinausschüttung an und hemmen die Glucagonsekretion. Zudem beeinflussen Inkretine Magen- und Hirnfunktionen: Sie verzögern die Magenentleerung und steigern das Sättigungsgefühl.

Das Inkretin GLP-1 wird im Körper von einem Enzym abgebaut, weshalb sich die Substanz selbst nicht als Medikament eignet. Anfang der 90er Jahre entdeckten Forscher im Speichel einer nordamerikanischen Krustenechse ein Hormon, das sehr ähnlich aufgebaut ist wie GLP-1, im menschlichen Körper aber nicht so schnell abgebaut wird. Sie entwickelten diese Ursprungsform weiter zu dem Wirkstoff Exenatide. In den USA wurde Exenatide im April 2005 als erster Wirkstoff dieser neuen Substanzklasse zugelassen, in Europa im November 2006. Der Hersteller Eli Lilly führte das Produkt im Mai 2007 auf dem deutschen Markt ein.

Diese Pressemitteilung wurde über den - idw - versandt.

zuletzt bearbeitet: 17.09.2007 nach oben

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