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Früh erkennen - effizient behandeln:

Wege für die Typ-2-Diabetesversorgung zwischen Qualitätsanspruch und Kostendruck

Weltweit erkranken immer mehr und immer jüngere Menschen an Diabetes mellitus. Die diesjährigen Elmauer Gespräche gingen der Frage nach, wie eine qualitativ hochwertige Diabetes-Versorgung auch in Zukunft gewährleistet und finanziert werden kann. Voraussetzung hierfür ist eine möglichst frühzeitige Diagnosestellung sowie eine medizinisch effektive und effiziente Therapie, die eine aktive Einbindung des Patienten vorsieht.

Elmauer Gespräche 2007

Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird sich die Zahl der Menschen mit Diabetes bis 2030 weltweit auf mehr als 360 Millionen verdoppeln, berichtete Professor Dr. Juan Jose Gagliardino, Direktor des Center for Experimental and Applied Endocrinology in La Plata, Argentinien, auf der Veranstaltung von Roche Diagnostics. Mit der Zahl der Patienten werden auch die direkten und indirekten Kosten der Behandlung steigen. Ein wesentlicher Faktor sind dabei Komplikationen und Folgeerkrankungen des Diabetes. Während die Krankenversicherung für einen Diabetiker ohne weitere Komplikationen im Mittel etwa 1.500 Euro pro Jahr an Behandlungskosten aufwenden muss, steigen die Ausgaben mit dem Auftreten von mikro- und makrovaskulären Ereignissen im Durchschnitt auf über 5.200 Euro an. Etwa 60 Prozent der Ausgaben entfallen dabei auf Krankenhausaufenthalte, berichtete Gagliardino. Ziel müsse es daher sein, die Komplikationsrate deutlich zu senken.

Blutzucker-Selbstkontrolle senkt Komplikationsrate und Therapiekosten

Durch eine effektive Blutzucker-Selbstkontrolle kann das Risiko für diabetes-assoziierte Komplikationen und Folgeerkrankungen um bis zu 25 Prozent gesenkt werden, erklärte Gagliardino. Im Vergleich zu den Behandlungskosten, die anfallen, wenn Komplikationen auftreten, seien die Ausgaben für die Blutzucker-Selbstkontrolle und die dazu benötigten Materialien wie Teststreifen mit einem Anteil von nicht mehr als drei Prozent an den gesamten Behandlungskosten sehr gering. Dass sich die Versorgungsqualität durch ein gutes Zusammenspiel von Ärzten und Patienten, zu dem auch ein effektives Diabetes-Management mit regelmäßiger Blutzucker-Selbstkontrolle gehört, deutlich verbessert, hat Gagliardino durch eigene Untersuchungen nachgewiesen. Nach einer entsprechenden Schulung verbesserte sich die metabolische Situation der Patienten deutlich und die Rate der Krankenhausaufenthalte sank von 24,7 auf 16,5 Prozent.

Neuere Untersuchungen haben ergeben, dass die Blutzucker-Selbstmessung bei Menschen mit Diabetes Typ-2 sowohl im Anfangsstadium als auch in einem fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung sinnvoll ist und zu deutlich geringeren Folgekosten für diabetes-assoziierte Komplikationen und Interventionen führt, berichtete Gagliardino. So liegen die Behandlungskosten im Beobachtungszeitraum bei Typ-2-Diabetikern, die mit oralen Antidiabetika und Insulin behandelt werden, etwa um 14.000 Euro höher, wenn keine Blutzucker-Selbstkontrolle durchgeführt wird im Vergleich zu einer gleichen Patientengruppe, die regelmäßig den Blutzucker selbst kontrolliert. Hauptfaktor für die höheren Ausgaben sind die Kosten für die Behandlung von diabetes-assozierten Komplikationen und Interventionen. Den ökonomischen Nutzen einer guten Blutzuckereinstellung belege auch die Gegenüberstellung der jährlichen Behandlungskosten und der Komplikationsraten, berichtet Gagliardino und bezieht sich hierbei auf eigene Untersuchungen: Wenn durch eine normnahe Blutzuckereinstellung auch nur ein Herzinfarkt vermieden wird, können mit den dadurch eingesparten Behandlungskosten die Ausgaben der Blutzucker-Selbstmessung für beinahe 280 Patienten mit Typ-2-Diabetes für ein ganzes Jahr bezahlt werden. Es gehe also letztendlich nicht darum Geld zu sparen, sondern die begrenzten Finanzmittel möglichst optimal einzusetzen, betonte Gagliardino.

Blutzucker-Selbstkontrolle als integraler Bestandteil der Diabetes-Versorgung

In der Versorgung von Patienten mit Diabetes gibt es hierzulande noch immer viel zu viel "Schablonendenken", bedauerte Professor Dr. Rüdiger Landgraf vom Diabetes Zentrum der Medizinischen Klinik Innenstadt der Universität München. Dieses führe dann auch dazu, dass Menschen mit Diabetes nur eine begrenzte Menge von Teststreifen für die Blutzucker-Selbstkontrolle zugestanden wird, die zudem auch noch regional unterschiedlich ist. Solche Festlegungen entsprächen jedoch nicht den therapeutischen Anforderungen an die Häufigkeit der Blutzucker-Selbstkontrolle. So müsse auch ein Patient mit Typ-2-Diabetes und konventioneller Therapie den Blutzucker häufiger kontrollieren, wenn er auf Reisen ist, wenn er Sport treibt oder wenn die Ernährung umgestellt wird, erläuterte Landgraf. In anderen Ländern habe man längst erkannt, dass die Selbstmessung lebensstilorientiert gestaltet werden muss. Dort sei die Blutzucker-Selbstkontrolle ohne konkrete Vorgaben bereits integraler Bestandteil des eigenverantwortlichen Therapiemanagements.

In den Disease Management Programmen sei zwar vorgesehen, dass die Patienten mit der Durchführung der Stoffwechselkontrolle und mit der Interpretation der Ergebnisse vertraut gemacht werden sollen, berichtete Landgraf. Bei der praktischen Umsetzung gebe es jedoch noch erheblichen Verbesserungsbedarf. So können Fluktuationen der Blutzuckerwerte nur durch häufige Messungen erkannt werden, was aber zu selten umgesetzt werde. Glukosemessungen im Urin seien deshalb ungeeignet und auch der "Goldstandard HbA1c ist enttäuschend", erläuterte Landgraf. Denn Schwankungen und Instabilitäten im Blutzuckerprofil im Verlauf eines Tages könnten sich im HbA1c, der alle drei Monate gemessen wird, nicht widerspiegeln. Der Münchner Diabetologe plädierte daher für eine sinnvolle Kombination aus HbA1c-Messung und eine an den individuellen Lebensstil angepasste Selbstkontrolle des Blutzuckers.

Koronare Erkrankungen und Diabetes - eine gefährliche Verwandtschaft

Nach wie vor werden Menschen mit Diabetes hierzulande viel zu spät diagnostiziert. Oftmals werden im Zusammenhang mit einem Herzinfarkt, beispielsweise bei der Koronarangiografie, erstmals die Symptome eines Diabetes entdeckt, berichtete Professor Dr. Oliver Schnell, Leiter des Forschungsbereichs Herz und Diabetes am Institut für Diabetesforschung der Universität München. Aufgrund dieser Erfahrungen sei inzwischen klar, "dass man bei einem Herzinfarkt immer auch an Diabetes denken muss", betonte Schnell. Vor diesem Hintergrund sehen die aktuellen Leitlinien, die von den Europäischen Diabetologen und Kardiologen gemeinsam erarbeitet wurden, vor, dass bei Patienten mit einer koronaren Diagnose auch ein oraler Glukosetoleranztest (oGTT) gemacht werden soll. Wenn der Test auffällig ist, sollte eine weitere diabetologische Diagnostik folgen.

Patienten mit Diabetes und vorausgegangenem Herzinfarkt haben nach Schnells Angaben eine besonders ungünstige Prognose. Nach einer neueren Untersuchung erleiden innerhalb von sieben Jahren etwa 45 Prozent dieser Menschen mit Diabetes einen Herzinfarkt. Und: Diabetiker, die noch keinen Herzinfarkt erlitten haben, haben mit 20 Prozent ein genauso hohes Risiko innerhalb von sieben Jahren einen Herzinfarkt zu bekommen wie Nichtdiabetiker, die bereits einen Herzinfarkt hatten. Das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall steige bei Menschen mit Störungen des Glukosestoffwechsels bereits Jahre vor der endgültigen Diagnose eines Diabetes kontinuierlich an. "Ein umfassendes Diabetes-Screening, Früherkennung und entsprechende Frühintervention sind entscheidend, um Begleit- und Folgeerkrankungen zu verhindern", so Schnell.

zuletzt bearbeitet: 04.04.2007 nach oben

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