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Diabetes - ein vielseitiges Problem

Vortrag von Dr. med. H.-C. Treichel, Genthin, auf der bundesweiten Hauptveranstaltung zum Weltdiabetestag 2006

Was die Evolution, das Wollnashorn, Fruchtbarkeitsgötter und faule Reparaturkolonnen mit dem Diabetes und seinen Folgeerkrankungen zu tun haben

Eigentlich ist die Evolution, unsere Entwicklungsgeschichte, an allem Schuld. Als wir noch in der Savanne lebten, waren wir zahlreichen Gefahren ausgesetzt durch den Säbelzahntiger, den Höhlenbären oder das Wollnashorn. Wir mussten ständig aktiv sein, um etwas gegen Hunger, Durst und Verletzungen zu tun. Das Überlebensprinzip bestand darin, die Intelligenz zu verbessern und Energiereserven in Form von Fett anzulegen. Es ging um "Fressen" oder "Gefressen werden".

Wir mussten schnelle Entscheidungen treffen nach dem Überlebensprinzip, also Flucht, oder dem Überlegenheitsprinzip, und das hieß Angriff. Voraussetzung für diese Entscheidungen war die Aktivierung des Sympathikusnervs. Seine Aktivität garantierte hohen Blutdruck, schnellen Herzschlag, schnelle Atmung, schnelle Blutgerinnung bei Verletzung, aber auch die Anlage von Reserven, wie Fett und Flüssigkeit. Der Sympathikusnerv blockierte außerdem das Hormon "Insulin". Die Leber konnte dadurch völlig ungebremst Zucker produzieren und das Gehirn beliefern. Die Insulinblockade war in der Vergangenheit notwendig für das Überleben.

Heute entsteht dadurch für uns eine tödliche Bedrohung. In allen Kulturen, in allen Epochen wurden Göttinnen der Fruchtbarkeit mit hüft- und gesäßbetonter Fettanlage dargestellt, als Birnentyp. Die "Fruchtbarkeitsgötter der Neuzeit" legen ihre Fettreserven mehr bauchbetont an und damit sind diese Bauchgötter Hochrisikopatienten. Überflussgesellschaften hatten immer identische Probleme: Fettsucht, Schlaganfall, Herzinfarkt, Diabetes und Gicht. Allerdings waren in der Vergangenheit nur wenige vom Überfluss betroffen. Heute betrifft das Problem "Überfluss" die gesamte Bevölkerung der Bundesrepublik, trotz Hartz 4. Unsere Ernährung hat sich verändert. Die Zunahme an Fett und reinem Zucker ist bedrohlich angestiegen. Unter den Jägern und Sammlern und auch zur Zeit des Ackerbaus wurden überwiegend Stärkeprodukte gegessen und reichlich Ballaststoffe. Übergewicht, Bewegungsmangel, Vererbung und Widerstand gegen Insulin fördern die Entstehung des Typ-2-Diabetes. Aretaios von Kappadokien beschreibt den Diabetes als wundersame Krankheit und er sei ziemlich selten. Aretaios hatte in seinem Arztleben nur drei Patienten mit Diabetes gesehen. Paul Langerhans entdeckte 1869 im Rahmen seiner Doktorarbeit die später nach ihm benannten Inseln. Von ihrer Funktion ahnte er nichts. Mehring und Minkowski stellten den Zusammenhang zwischen der Bauchspeicheldrüse und dem Diabetes fest. Nachdem sie Hunden die Drüse entfernt hatten, wurden die Tiere zuckerkrank. Der therapeutische Durchbruch gelang mit der Entdeckung des Insulins 1921 durch Banting und Best.

Der gesunde Organismus reguliert den Blutzucker in sehr engen Grenzen. Werden diese Grenzen überschritten, zum Beispiel wenn der Blutzucker nach dem Essen über 8 mmol/l (140 mg/dl) ansteigt, dann ist damit auch eine Störung des Fettstoffwechsels, des Blutdrucks, der Blutgerinnung und der Ansprechbarkeit auf Insulin verbunden. Man spricht von Insulinresistenz. Erhöhte Blutzuckerwerte provozieren die Bildung von aggressivem Sauerstoff, einen vermehrten Blutstrom und die Verklebung mit Zucker. Der aggressive Sauerstoff führt zu Schäden an der Innenhaut unserer Blutgefäße, sozusagen der "Gefäßtapete". Es werden Löcher hineingerissen. Die Reparatur übernehmen Stammzellen aus dem Knochenmark. Aber bei hohen Blutzuckerwerten ist diese Reparaturkolonne langsam und faul. Der Tapetenschaden bleibt bestehen. Die Veränderungen entstehen sowohl an großen als auch an kleinen Blutgefäßen. Die Gefahr entwickelt sich unbemerkt über Jahre. Wenn die Diagnose "Typ-2-Diabetes" gestellt wird, zeigen 50 Prozent der Betroffenen bereits Veränderungen an den Blutgefäßen. Schädliche Blutfette (LDL-Cholesterin) bilden Fettpolster unter der Gefäßtapete und die können aufbrechen wie ein Vulkan. Bei Menschen mit Diabetes ist die Blutgerinnung verstärkt. Der Vulkanausbruch und die vermehrte Blutgerinnung führen zum Verschluss des Gefäßes. Das Ergebnis heißt Herzinfarkt oder Schlaganfall. Diabetespatienten leiden unter erhöhtem Blutdruck. Das Herz kann nur gegen diesen hohen Druck pumpen, indem der Muskel dicker wird. Die Beweglichkeit des Herzens nimmt ab und seine Energieversorgung reicht nicht mehr aus. Veränderung der Blutgefäße im Auge führen zu Sauerstoffmangel und zu Gefäßverschlüssen. Es werden neue Blutgefäße gebildet, die von schlechter Qualität sind, durchlässig, brüchig, leicht blutend. Die Sehkraft ist bedroht! Schäden an den Nierengefäßen kann man durch Eiweißausscheidung im Urin nachweisen. Die Nierenkörperchen verstopfen. Die Entwicklung der Diabeteshäufigkeit weltweit und in Deutschland ist bedrohlich.

Die medikamentöse Behandlung wird in diesem Vortrag nicht an erster Stelle genannt, sondern die Prävention. Die Betroffenen sind gefordert, selbst etwas gegen die Erkrankung zu tun und nicht etwas mit sich tun zu lassen. Es geht um die bekannten Punkte: Ernährung, Bewegung, das Rauchen einstellen, und erst dann folgen die medikamentöse Blutzuckertherapie, die Behandlung der Fettwerte und des Blutdrucks. Das alles fordert von uns ein hohes Maß an Motivation. Der "Stern" hat eines seiner Journale mit der Überschrift "Zeitbombe Diabetes" überschrieben. Die Häufigkeit der Komplikationen, die dort genannt werden, soll uns nicht ängstigen, sondern uns zu mehr Eigeninitiative motivieren. Formulieren Sie für sich konkrete Ziele, die nicht zu hoch gesteckt sind. Jeder braucht Erfolgserlebnisse und besonders Menschen mit Diabetes.

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zuletzt bearbeitet: 14.11.2006 nach oben

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